Uetz ist schuld

+++ Das Unwetter der vergangenen Nacht wurde nachweislich durch Christian Uetz verursacht, der unbedingt um 22.30 Uhr auf der Aussenbühne seinen «Engel der Illusion» noch einmal zum Besten geben musste. (Unten: Archivaufnahmen vom Freitag.)

Uetz

Noch vor Beendigung der Strafpredigt zeichneten sich der Aare abwärts die ersten Blitze ab, kaum hatte Uetz die Bühne verlassen, wurde der Landhausquai dann von Stürmen heimgesucht, Regen setzte ein, der Glacéstand musste vorzeitig schliessen. Beifällige Anerkennung für die Performance kamen von Patti Basler („Gut, aber ich war schon besser“) und Judith Keller („Ja nu: Angeri sägeds angersch. De Levinas zum Byschpiel“). Damit aber nicht genug. Gerade hatten sich die Böen wieder gelegt und die Umstehenden sich zum Ausklang in die Stehbar No. 19 verzogen, um den letzten Runden von Urweiders Flaschendrehen beizuwohnen, sah sich Uetz genötigt – man war kaum angekommen – sich schnellstmöglich in die Runde der Drehenden zu mischen, um seine Stimme ein weiteres Mal zu erheben. Ariane von Graffenried ahnte auf der Gasse bereits augenrollend „Itzt chunnts de grad wider“ – et voilà, der Donner folgte ihm. ++++

«Kommt ihr Abwesenden alle». Das Furore von Christian Uetz

Bewundernswert ist die Vielstimmigkeit, die Christian Uetz in der Performance seiner Texte mit der einen Stimme zu generieren vermag. Andere tendieren da ja gelegentlich dazu, Intensität mit blosser Lautstärke zu verwechseln. In Uetz’ Organ aber finden sich Instrumente wie für ein Symphonieorchester: Vom matten Seufzer übers irritierte Fragen, bis fast ans Schreien hin führt er seine Texte. Er durchlebt diese Gedichte, statt sie bloss vorzutragen. Er ruft, springt, krümmt sich.

Die Texte von Christian Uetz zeichnen sich aus durch die eingehende Beschäftigung mit Erotik und Glauben, so deutet Beat Mazenauer in seiner Anmoderation. Das trifft die fast mystische Leidenschaft für die Sinnlichkeit der Sprache, die für jedes Wort ausschlaggebend ist, das ich von Uetz gelesen habe. Bedeutungen verdichtet er zu Erfahrungen, in Texten, von denen man nicht weiss, ob sie sehr schwer oder sehr leicht sind. Glossolalie, also Zungenrede, ist eine Gnadengabe, so oder ähnlich steht es ja auch schon in der Bibel.

Dabei ist die eindrückliche Darbietung nirgends etwas dem Textmaterial Äusserliches, sondern scheint konsequent aus der Sprache der Dichtung von Christian Uetz entwickelt. Das hat so viel Selbstverständlichkeit, dass man sich fragt, warum man sich überhaupt darüber wundert. Nach Auszügen aus seinem neuen Gedichtband Engel der Illusion durchquert Uetz als furioses Finale noch einmal ältere Texte, die verbunden sind durch die Bezugnahme auf Engel. Dass die Engel ihn schon so lange beschäftigen, habe er selbst erst spät erkannt, sagt er. Obwohl er all die Texte auswendig weiss.

Dass Denken und Dichten eine Affinität haben, dass man Sprache auch sinnlich erfahren kann, dass eine Performance auch etwas mit einem Publikum macht: Das sind zunächst einmal Gemeinplätze. Umso mehr freut man sich, dass Christian Uetz den Nachweis erbringt, dass mit ihnen auch etwas Wahres gemeint ist. «Spoken Word» sagt das Programmheft dazu. Erstaunlich.

Marco Neuhaus