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Out of Ireland

Gabrielle Alioth

In ihrem 2018 erschienenen Roman «Gallus, der Fremde» erkundet Gabrielle Alioth den Lebensweg eines irischen Wandermönchs. In die historische Recherche mischen sich dabei Reflexionen über den Weg, der die Autorin selbst einst aus der Schweiz nach Irland führte. Das Ergebnis ist stellenweise rätselhafter, als es der Romanform bekommt.

Von Andrina Zumbühl
4. Januar 2019

Wir schreiben das Jahr 590 n. Chr. Eine Gruppe von Wandermönchen macht sich auf den gefahrenvollen Weg von Irland in die Vogesen und von dort aus weiter zum Bodensee. Einer von ihnen ist Gallus, der es bis zum Schutzpatron von St. Gallen bringen wird. Den genau umgekehrten Weg geht knapp 1400 Jahre später die Schweizer Schriftstellerin Gabrielle Alioth. In Basel geboren, wandert sie 1984 nach Irland aus, wo sie sich dem Schreiben zuwendet. Neben dem preisgekrönten Roman «Der Narr» (1990) verfasst sie zahlreiche weitere Romane, Kinderbücher, Kurzgeschichten und Theaterstücke. Als Alioth Irland vor einigen Jahren verlässt, beginnt sie die Geschichte des heiligen Gallus zu erforschen. Das Resultat: «Gallus, der Fremde».

Die Zeiten im Fluss

Wie bereits ein Jahr zuvor in Adam Schwarz’ Bruder Klaus-Roman Das Fleisch der Welt (2017), so verbinden und verschränken sich auch bei Alioth Mittelalter und Gegenwart, ersteht die Schweiz aus der Entfremdung. So hat man es hier einerseits mit einer Geschichte über den beschwerlichen und gefahrenvollen Weg der Wandermönche, deren Bekehrungsversuche und die Frage zu tun, weshalb sich Gallus von seinem strengen Lehrer und jahrelangen Gefährten Columbanus getrennt hatte. Andererseits wird diese Untersuchung geführt durch eine «Fremde», die in der Wildnis des Steinachtals auf Gallus trifft und ihn mit Fragen löchert. In der Hinwendung zu seiner Vergangenheit und dem abermaligen Durchleben seiner Erinnerungen verbindet sich dabei sein Leben mit jenem der «Fremden», die am Ende des 20. Jahrhunderts in Irland eine Heimat fand und wieder verlor.

Zur Autorin

Gabrielle Alioth, 1955 in Basel geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften und Kunstgeschichte an den Universitäten Basel und Salzburg. 1984 übersiedelte sie nach Irland, um dort als freie Übersetzerin und Journalistin für deutsche Zeitungen und Rundfunkstationen zu arbeiten. 1990 erschien ihr Romandebüt «Der Narr», das auch als Hörspiel durch Radio DRS produziert und ausgestrahlt wurde. 1991 las sie beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. «Gallus, der Fremde» ist ihr mittlerweile zehnter Roman.

«Doch je mehr ich über ihn erfuhr, umso rätselhafter erschien mir sein Leben», formuliert das namenlose Ich am Eingang des Romans – und in der Tat bleibt dieser Text auch über weite Strecken ein Rätsel.  Die Gedankenstränge verweben sich je länger je mehr, ohne dass dabei die Übergänge zwischen den einzelnen Personen, Erzählperspektiven und Zeitstufen markiert werden. Bisweilen werden Reflexionen kurz angerissen, um erst einige Seiten später weiter ausgeführt oder abgeschlossen zu werden. Zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt, aber auch zwischen dem, was ist, und dem, was Vorstellung bleibt, erstreckt sich ein Fluss der Gedanken. «Seit der Nacht im Wald verschwimmt das Gewesene mit dem Gedachten», kommt es der Fremden in den Sinn – nicht nur einmal wird sie sich im Verlauf des Textes zu weiteren zeitphilosophischen Reflexionen aufschwingen.

Was fehlt ihr?

Bleibt die Frage, wie die doch manifeste autobiographische Schicht des Romans zu lesen sei. Tatsächlich schützt gerade die narrative Unschärfe die Erzählerfigur vor vorschneller Identifikation; die Leserschaft muss sich mit den stetig wiederkehrenden Erinnerungsbruchstücken begnügen, um sich ein fragmentarisches Bild dieser Frau zu machen. Fragment ist sie, denn unabhängig davon, ob man sie mit der Autorin gleichsetzt oder nicht, scheint ihr etwas Fundamentales, Unbenennbares abhanden gekommen zu sein, etwas, das sie in der Rückwendung auf jene andere irisch-helvetische Biographie wiederzufinden hoffte. «Viel zu lange beschäftige ich mich schon mit Gallus, ohne zu wissen, was ich zu finden hoffe. Eine Erklärung für das, was mir widerfahren ist, was ich verloren habe?», überlegt die Fremde. Die Antwort wird nicht gegeben und so bleibt der Roman in seiner Letztbegründung uneinsehbar – und für diejenigen, die in der Literatur eine Verhandlung über die Zusammenhänge zwischen Geschichte, Imagination und Gegenwart zu sehen vermögen, allemal eine lohnenswerte Herausforderung.

Gabrielle Alioth: Gallus, der Fremde. 246 Seiten. Basel: Lenos 2018, 29.80 Franken.

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