KW21

Glück und Gerechtigkeit

Cueni

Ein Neuanfang in der Sackgasse. Mit der Geschichte des wieder ins Leben zurückgestürzten Lukas Rossberg fesselt Claude Cuenis Roman «Der Mann, der Glück brachte» das Krimipublikum an sich - und lässt die Genrekonventionen dennoch deutlich hinter sich.

Von Jonas Güntensperger
21. Mai 2018

Man möchte diesen Mann begleiten, mit ihm aufstehen und herausfinden, was sich in jener einen Nacht zugetragen hat, als er, Lukas Rossberg, bei einem Casinoüberfall angeschossen wurde. Wie sind die im Dunkel seines siebenjährigen Wachkomas liegende Vergangenheit und die unverstandene Gegenwart miteinander verknüpft? Was etwa verbirgt sich hinter der Fassade von Roby Keller, der sich in Rossbergs Auszeit zum Direktor der Lotteriegesellschaft hochgearbeitet und Rossberg nun einen Job verschafft hat? Krimisetting, wie man es kennt. Scheinbar vom Reissbrett, aber wer mit Cuenis Texten vertraut ist, weiss, dass sie auch aus dem konventionellsten Plot heraus noch eskalieren können.

Lotteriecomputer hacken

Der Mann, der Glück brachte – eigentlich ein ganz guter Titel. (Catalin Dorian Florescu gefällt das.) Gebracht wird das Glück bei Cueni vor allem in Form von Geld, denn der Roman handelt von der Lotterie und den computertechnischen Möglichkeiten, diese zu beeinflussen. Ein gut gewähltes wie leicht anachronistisch anmutendes Sujet – wann war Lotto noch einmal Literatur? – , präzise und nachvollziehbar erzählt, ohne Informatikprozesse im Überfluss aufzulisten oder ins Konspirative zu kippen. Cueni, dem es an Fachwissen nicht mangelt, bricht den Stoff zunächst einmal auf ein verständliches Niveau herunter und verpackt ihn in einen Text, der eine kurzweilige Lektüre garantiert und darüberhinaus es versteht, immer wieder interessante Nebenstränge in die Handlung einzuflechten. Zum einen ist da das sich anbahnende Liebesereignis zwischen Rossberg und der Verkäuferin Caroline Sautier. Die sporadischen Annäherungsversuche sorgen zwar jeweils für eine angenehme Abwechslung, sie enden jedoch teils affektiert in mangelnder Initiative beider Beteiligten, obwohl sie beide mehr wollen. Zum anderen spannt Rossberg zunehmend mit Yao Min zusammen, die sich während seiner Abwesenheit um seine Wohnung gekümmert hat. Als unverzagtes Mädchen mit chinesischen Wurzeln bringt sie frischen Wind in die Handlung, umso mehr, da sie Rossberg tatkräftig dabei unterstützt, die verschleierten Machenschaften der Lotteriegesellschaft aufzudecken.

Zum Autor

Claude Cueni, geboren 1956 in Basel. Nach dem frühzeitigen Abbruch der Schule reiste er durch Europa, schlug sich mit zwei Dutzend Gelegenheitsjobs durch und schrieb Geschichten. Mittlerweile hat er über fünfzig Drehbücher für Film und Fernsehen sowie Theaterstücke, Hörspiele und Romane verfasst, u.a. den Bestseller «Das Grosse Spiel» über den Papiergelderfinder John Law, der bisher in zwölf Sprachen übersetzt wurde. Claude Cueni lebt bei Basel.
Foto: © David Burkhardt

Nicht aufgeben

Gleichwohl verhandelt der Roman die Suche nach Gerechtigkeit. Eindringlich beschreibt Cueni das Stehvermögen eines kranken Mannes und seine Beharrlichkeit, die Welt nach Schicksalsschlägen und allem, was ihm widerfahren ist, nicht in einem desolateren Zustand zu verlassen, als er sie angetroffen hat. Im Charakter «Luckys», wie der Text seinen Protagonisten dann etwas ostentativ tauft, verbergen sich dann auch die autobiographischen Züge, die in einem Cueni-Roman nicht fehlen dürfen. Die Ebene des fanatisch-fantastischen Ausschreibens des eigenen Lebens, auf der sich noch Script Avenue (2014) und Pacific Avenue (2015) bewegten, betritt Der Mann, der Glück brachte jedoch nicht. Statt dessen kennzeichnet den Roman die Reintegration einer Figur in ein schier unbekanntes Umfeld, die mal trocken, mal bitter, mal zynisch ausfällt: die Geschichte eines Mannes, der alles verloren hat und in einer Welt Fuss zu fassen sucht, die sich allzu schnell wandelt und ihm nicht selten den Boden unter den Füssen wegzieht.

Starke Sprache

Rossberg hat es auch nach dem Koma nicht verlernt, Menschen zu lesen. Als willkommener Nebeneffekt hat das Projektil, das seinen Kopf durchbohrt hat, «manche Sinne geschärft». So erweist sich der Ich-Erzähler als scharfsinniger Beobachter; die Sprache ist äusserst bedacht und treffsicher, keine Regung seines Gegenübers entgeht Rossberg. Wie so oft scheint Cuenis Schreibstil griffig, bündig und substanzgetrieben: «ja, einen Kaffee, ja, mit Zucker, viel Zucker». Bemerkenswert ist, dass das gerade nicht zu einer Übersteuerung der Handlung führt. Je mehr Energie die Erzählung aufnimmt, umso spürbarer wird gleichzeitig Rossbergs Unlust, viel Lärm um wenig zu veranstalten.

So bleibt die Geschichte beinahe durchgehend spannungsgeladen, wenn auch die Handlungsfäden bisweilen auszufransen drohen, das sich zu viel Verschiedenes gleichzeitig und ohne grosse Bezüge zueinander ereignet. Gerade hierin zeigt sich aber Cuenis Handschrift, die die Genregrenzen zwangsläufig sprengen muss und den üblichen Kurven und Einbahnstrassen von Kriminalromanen schlechte Träume, kargen Herbst und alarmierende Arztbesuche entgegensetzt. Doch sein Rossberg, der Mann, der das Glück brachte, gibt nicht auf – bis zur letzten Seite.

Claude Cueni: Der Mann, der Glück brachte. Basel: Lenos 2018, 278 S., ca. 32 CHF.

Zum Verlag

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