KW19

«Flüchtig sollst Du sein auf Erden.»

Daniel Goetsch

Die musikalische Aufladung von Lesungen wird immer mehr zum Regelfall. Aber gereicht das der Literatur immer zum Vorteil? Shantala Hummler hat Daniel Goetsch Buchvernissage im Zürcher «Kosmos» besucht - und war nicht wirklich überzeugt.

Von Shantala Hummler
7. Mai 2018

Finstere Klangwolken breiten sich in dem vom warmem Abendlicht durchfluteten Buchsalon im Kosmos aus. Entgegen der von Veranstalter und Klappentext angepriesenen mediterranen Stimmungsbilder, die Fünfers Schatten zeichnen und zu einer idealen Ferienlektüre machen sollen, verbreiten die mit synthetischen Klängen untermalten literarischen Kostproben aus Daniel Goetschs neustem Roman eine spannungsgeladene Endzeitstimmung.

Narrativer Ausgangspunkt ist die Überfahrt auf ein französisches Inselidyll. Dieses bleibt jedoch kulissenartiger Nebenschauplatz für eine Geschichte der Heimsuchung durch einschneidende westeuropäische Kriegsereignisse, die sich am Leid einzelner Schicksale kristallisieren. Keine leichte Brise im Haar, kein betörender Lavendelduft in der Nase und kein türkisblaues Wasser auf der Haut, nein: In Fünfers Schatten wischt man sich den säuerlichen Geschmack von Erbrochenem von den Lippen und muss den Zugriff gespenstischer Stummelfinger aus dem Erinnerungsdunkel abwehren. Musikalisch begleitet werden diese Szenen an jenem Abend von Marcel Vaid, einem renommierten Schweizer Theater- und Filmkomponisten, der Goetschs nüchterne Prosa mit einem wabernden elektronischen Klangteppich unterlegt, dessen beständiges bedrohliches Brodeln im Untergrund die sachlich-distanzierte Rezitation in repetitiver Monotonie kontrastiert.

Zum Autor

Daniel Goetsch, geboren 1968 in Zürich, lebt als freier Autor in Berlin. Er verfasste mehrere Romane, darunter «Herz aus Sand» und «Ben Kader», sowie Dramen und Hörspiele. Für «Ein Niemand» erhielt er das HALMA-Stipendium des europäischen Netzwerks literarischer Zentren.
Foto: © Annette Hauschild

Brennpunkt der Erzählung bildet das Leben Maxim Diehls, ein egozentrischer, rastloser, von Erfolgsrausch und Drogenexzessen ausgepumpter Theaterautor. Seine letzte Eskapade treibt ihn zur Flucht nach vorne, und zwar auf Porquerolles, wo er «eine schonungslose Abrechnung» niederzuschreiben gedenkt. Doch für Maxim Diehl gibt es kein Entkommen. Anstatt sich endlich «produktiv seinem Leiden» hingeben zu können, ist er gezwungen, seine schmerzhaften, von Krieg, Leid und Schuldgefühlen überschatteten Erinnerungen mit einer Vielzahl an Rauschmitteln zu betäuben und sich in die Geschichte eines anderen zu flüchten. Die Begegnung mit Jack Quintin, einem älteren Herrn, der in Maryland in psychologischer Kriegsführung ausgebildet und als «weisser Ritter» im Rahmen des Reeducation-Programms zwischen die ideologischen Fronten des Nachkriegsdeutschlands deputiert wurde, spielt Diehls Verdrängungs- und Aufschubbegehren glücklich in die Hände. So reiht sich der Konfrontationsversuch in autobiographischer Gestalt in eine Reihe von ziellosen und gescheiterten Befreiungsschlägen, die vom alternativen Kommunenleben in Zürich mit dreckigem Punk und blutbespritzen Wänden bis zur Verweigerung des Kollektivismus der 80er-Jugendbewegung reicht. Maxim Diehl kettet sich unterdessen lieber wieder an seine Opferrolle, mimt in Selbstbespiegelungen den egozentrischen Eigenbrötler und verhüllt mittels hyperbolischer Projektionen und Verzerrungen seine kalte Rücksichtslosigkeit.

Vaids minimalistische Klangschlaufen schaffen eine dichte bedrohliche Atmosphäre, die vergangene Schrecken heraufbeschwört und künftiges Unheil vorwegnimmt, während die monoton-repetitive Klangstruktur das rastlose Getriebensein Diehls spiegelt. Darin erschöpft sich jedoch die musikalische Rahmung weitestgehend und fügt das angekündigte «atmosphärische Hörerlebnis», gepaart mit Goetschs unaufgeregter, flacher Intonation zu einem etwas eintönigen Ganzen. Hinzu kommt die stellenweise ungelenke Sprache des Autors: wenn «kannenweise Herzblut» in ein Stück Diehls fliessen muss und er «mit vor Rührung feuchten Händen» der «Frau am anderen Ende seines Bewusstseins» lauscht, können auch offensichtliche musikalische Anleihen bei Hans Zimmers Soundtrack zu Blade Runner 2049 keinen Hörgenuss mehr verschaffen. So durchkonzipiert Fünfers Schatten mit seinen zahlreichen literaturhistorischen Allusionen und der massiven weltgeschichtlichen Kulisse ist, so konzeptlos und einförmig wirkt dagegen diese musikalische Lesung des Romans, was den Abend leider zu einem eher flüchtigen ästhetischen Erlebnis macht.

Daniel Goetsch: Fünfers Schatten. Stuttgart: Klett-Cotta 2018, 272 S., ca. 30 CHF.

Zum Verlag

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