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Affären am Anschlag

Alan Schweingruber im Interview

Alan Schweingrubers Romandebüt «Simona», erschienen im vergangenen Herbst, verhandelt die Liebe im Schatten des Terrors. Mit dem Buchjahr sprach der Autor über Seitensprünge und Attentate.

Von Redaktion Buchjahr
27. Januar 2019

Alan, die Titelfigur deines Romans verlässt ihren Partner samt Kind für ihre Sommerliebe Antoine. Warum kehrt sie am Schluss wieder zurück zu ihrer Familie in die Schweiz?

Simona ist zwar nicht glücklich, aber ihre Familie bietet ihr schlussendlich doch Sicherheit und Rückhalt. Ich wusste intuitiv, dass sie früher oder später in die Schweiz zurückkehren muss. Vor allem liegt es aber an der Tochter: Als junge Mutter kann sie sich einen Schnitt leisten – aber jahrelang wegbleiben, das geht nicht. Irgendwann geht ihr ja das Geld auch aus. Es spielen sicher auch gesellschaftliche Erwartungen eine Rolle, aber in erster Linie ist es das Grundbedürfnis, der Instinkt einer Mutter, zu ihrem Kind zurückzukehren.

Welche Botschaft wird denn mit dieser Rückkehr überbracht?

Es war mir von Anfang an wichtig, dass die Geschichte am Schluss auch stimmig ist. Die Botschaft wäre, dass man den Mut haben muss, um etwas Neues anzufangen. Schlussendlich wird Simona für ihre Rückkehr damit belohnt, dass dann alles wieder stimmig ist.

Zum Autor

Alan Schweingruber, geb. 1972 in Solothurn, lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Kilchberg bei Zürich. Nach einer kaufmännischen Ausbildung und längeren Aufenthalten in Spanien und Frankreich arbeitete er als Journalist bei verschiedenen Schweizer Tageszeitungen und Magazinen; derzeit ist er für das «FIFA-Magazin» tätig. «Simona» ist sein erster Roman.
Foto: © Matthias Gerber

Natürlich ist es am schönsten, wenn alles stimmig ist und sich die Wunden wieder schliessen. Jemand bricht aus, und am Ende wird die Episode wieder gelöscht. Aber es geht ja um einen Seitensprung. Wie moralisch bleibt denn das Szenario?

Vor ihrem Ausbruch geht es Simona relativ gut in Nizza im Sommerurlaub mit der Familie. Aber es brennt ihr schon länger unter den Nägeln. Irgendwann tut man Dinge, die den gesellschaftlichen Erwartungen nicht hundertprozentig entsprechen. Und Simonas Seitensprung passiert einfach, da liegt keine Wertung drin. Als sie nach der Rückkehr nach Zürich und der Trennung mit ihrem Mann ein zweites Mal eine Affäre sucht, geschieht das auch aus einem Gefühl heraus.

Inwiefern hast du dich damit auseinandergesetzt, dass du aus der Perspektive eines Mannes eine Geschichte über eine Frau geschrieben hast?

Es war mir nicht von Anfang an klar, dass meine Hauptprotagonistin eine Frau sein würde. Ich hatte einen Plan, wusste, dass die zwei Hauptfiguren ein Mann und eine Frau sind. Aber nach zwanzig, dreissig Seiten wurde mir klar, dass Simona eine besonders starke Rolle einnimmt. Es ist sicher eine Herausforderung: Es gibt Dinge, in die man sich als Mann einfach nicht einfühlen kann. Im Buch gibt es beispielsweise diese Szene, in der Simona nachts verfolgt wird. Da kommen viele Dinge in ihrem Kopf zusammen, was für mich als Autor bedeutete, dass ich mich akribisch mit den Gedanken einer verfolgten Frau auseinandersetzen musste. Das war eine echte Herausforderung.

Wenn du erst im Schreibprozess gemerkt hast, dass Simona eine zentrale Figur sein soll: Was war denn die Ausgangskonstellation, die du dir ursprünglich ausgedacht hattest?

Für mich war es von Beginn an klar, dass Zufälle eine ganz grosse Rolle spielen werden. Wie tiefgreifend die Beziehung zwischen Antoine und Simona sein würde – das hat sich erst im Schreibprozess ergeben. Mir waren eher zufällige, kaum wahrnehmbare Kleinigkeiten wichtig. Eine dieser Kleinigkeiten wäre z.B. das Motiv des verletzten Knies, das im Zusammenhang mit verschiedenen Figuren immer wieder vorkommt. Solche «ressemblances» funktionieren wie Kanäle in der erzählten Welt, die Verbindungen zwischen den Figuren herstellen.

Der Hauptzufall, der die Handlung ja massgeblich mitbestimmt, ist das Attentat von Nizza. Geht es Dir um Dokufiktion?

Nein. Ich war 2016 in Nizza und habe dort mit Freunden eine Woche lang an der Promenade des Anglais gelebt. Zwei Wochen später, als ich in Montreux war, habe ich von dem Attentat erfahren und war schockiert. Man realisiert ja dann, dass der Unterschied zwischen einem selbst und denjenigen, die an diesem Ort sterben mussten, ein zufälliger ist. Das war der Ausschlag für mein Buch. Ich wollte das Attentat einbauen, ohne jedoch eine Wertung vorzunehmen oder zu tief in die Situation hineinzugehen. Für mich war es besonders wichtig, anhand des Attentats zu zeigen, dass manchmal wenig davon abhängt, ob man noch am Leben ist oder nicht.

Existiert eine Gefahr der Banalisierung, wenn ein so wichtiges und berührendes Thema in den Hintergrund gerückt wird?

Sobald man anfängt, über das Buch zu reden, wird das Attentat in Nizza zum wichtigsten Aspekt stilisiert, obwohl ich bloss fünf Seiten darüber geschrieben habe. Eigentlich wird dieses Ereignis aber in der Familie, in der Privatgeschichte, in einer Liebesgeschichte aufgelöst. Nun kann man sich die Frage stellen, ob man auf diese Weise solch einem Ereignis gerecht werden kann. Für mich war es stimmig, das nur zu streifen. Ich wollte eine Momentaufnahme unserer angsterfüllten Zeit machen. Frankreich wurde schwer getroffen, auch mit dem Anschlag im Bataclan.

Die Liebesgeschichte um Simona einerseits und das Attentat andererseits lassen sich auch als Parallelgeschichten lesen: Simona hat einen One-Night-Stand, der in gewisser Weise auch einen Anschlag auf ihre Familie darstellt. Gibt es eine Verbindung zwischen dem «öffentlichen» und «privaten» Attentat?

Diese Verbindung habe ich nicht bewusst gezogen. Man kann aber sicher sagen, dass eine Annäherung an jenes Attentat über eine subjektive Perspektive und persönliche Gedankenwelt stattfindet. Es gibt aber einen tiefen Graben zwischen dem individuellen Blickwinkel und der grösseren, schrecklichen Realität.

Das Dokumentarische ist dir als Journalist ja von Berufs wegen vertraut. Inwiefern unterscheidet sich das literarische vom journalistischen Schreiben?

Ich bin in den Neunzigern in den Journalismus eingestiegen, habe ab 2009 längere Geschichten geschrieben und dann selbst verlegt bei BOD. Die Texte in der Tageszeitung sind vergleichsweise Häppchen. Ich finde es angenehmer, längere Sachen zu schreiben, auch beruflich, Reportagen zum Beispiel. Im Vergleich ist ein Roman eine komplett andere Welt. Der Schreibprozess ist viel ruhiger und viel angenehmer, man ist sehr frei, was schön ist.

Gibt es da verschiedene Modi der Wirklichkeitsbetrachtung? Anders und direkt gefragt: Wo fängt beim journalistischen Schreiben Fiktion an?

Ich finde, dass gute Reportagen auch sehr viel «Eigenes» in sich haben. Reportagen, die Bäume beschreiben, die im Wind wehen, und dann kommen aneinandergereiht die Fakten  – das finde ich langweilig. Interpretation ist bei Reportagen unabdingbar. Die nächste Stufe ist dann wahrscheinlich der Roman. Mit ihm verhält es sich so: Je länger man schreibt, desto eingeschränkter wird man, weil man etwas geschaffen hat. Das Gebilde muss stabil sein, sonst verliert die Geschichte ihre Glaubwürdigkeit.

Liest du andere AutorInnen?

Während des Schreibprozesses lese ich generell eher nicht. Von den Schweizern lese ich sehr gerne Markus Werner, Otto Steiger war auch sehr wichtig für mich. Ansonsten mag ich Daniel Kehlmann recht gerne, aber auch Peter Stamm. Stamm kann grossartig Atmosphäre erzeugen.

Die Standardfrage zuletzt: Was bringt die Zukunft?

Ich arbeite wieder an einem Roman. Er spielt in Zürich und Berlin und ist eine Liebesgeschichte.

Das Gespräch führten Caroline Monbaron und Timothèe Melly.

Alan Schweingruber: Simona. 213 Seiten. Frankfurt a.M.: weissbooks 2018, ca. 34 Franken.

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