Wer hat, dem wird gegeben – Lesung mit Lukas Bärfuss

So wie Mario und Margherita in Bärfuss’ Roman «Die Krume Brot» an einem trüben und nassen Herbsttag nach Zürich gelangen, verschlägt es mich an einem solchen Tag nach Dielsdorf. Bärfuss, der nach einigen einleitenden Worten der Veranstaltenden die Bühne betritt, zeigt sich sichtlich erfreut (und zugegeben überrascht) über das rege Erscheinen im schmucken Bistro Philosophie. Ohne lange zu zögern, legt der Autor mit der Lesung seines neusten Romans los. Das Publikum ist gespannt, schmunzelt zwischendurch, auch stilles Nicken ist zu beobachten, zum Beispiel dann, wenn Bärfuss von Zuständen der Zeit während des Ersten Weltkrieges redet. Und wenn er da so erzählt, sich dem Text hingebend und alles um sich zu vergessen scheint, kann man nicht anders, als sich in den Bann ziehen zu lassen und sich zu denken: Das Buch brauche ich. Und ohne zu wissen, wie die weiteren beiden Teile dieser Trilogie sein werden, weiss man wohl: Auch die nächsten beiden finden ihren Platz in der Büchersammlung.

Nach fünfunddreissig Minuten setzt Bärfuss zum ersten Schluck Wasser an und führt sodann mit dem zweiten Teil seiner Lesung fort. Man wünschte sich, er erzähle den ganzen Abend weiter. Um kurz nach neun beendet der Autor sein Vorlesen und erhebt sich vom Stuhl. Zur Freude des Publikums nicht aber, um die Bühne zu verlassen, sondern um sich am Bühnenrand niederzulassen und für die anstehende Fragerunde näher bei diesem zu sein. Sympathisch, wie er da sitzt, denke ich mir.

Wir lernen in der nächsten halben Stunde, dass wohl alle Lukasse aus Lukatien kommen und dass wir von Bärfuss kein Kinderbuch lesen werden, so – das behauptet der Autor – erzähle er seine Geschichten für alle. Ob er sich denn auf der anderen Seite sehe, beispielsweise mit Sibylle Berg zusammen im Europaparlament, fragt eine neugierige Stimme im Publikum. Ungeachtet dessen, dass das aufgrund seiner Staatsbürgerschaft nicht möglich sei, verneint Bärfuss diese Frage nach einem Rückblick auf sein bisheriges Leben und die erfahrenen Repressionen in der Kindheit. Er wäre ein unbegabter Politiker mit zu wenig Frustrationstoleranz und nicht gemacht für Sitzungen oder die ewige Suche nach Kompromissen. 

«Them that’s got shall get, them that’s not shall lose» lauten die ersten Strophen von Billie Holidays God Bless The Child, das Bärfuss zu seinem Titel inspiriert hat. Wer hat, dem wird gegeben, das erfährt auch Bärfuss Protagonistin Adelina. Nicht weil sie hat, sondern weil sie um ihr Überleben kämpft.

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