Immer eine Suche

Der zweite Roman als das Schwierigste, was Autor*innen anpacken können – dieses verbreitete Bild beschwört die Moderatorin Arlette Graf gleich zu Beginn der Lesung im «Karl der Grosse» herauf. Mit ihr auf dem Podest sitzen Meral Kureyshi und Frédéric Zwicker, deren Zweitlinge diesen Herbst erschienen sind.

Das Lamento über die Schwierigkeiten des zweiten Romans bleibt aber gänzlich aus. Beide finden, dass es wahrscheinlich genau dieses Bild vom schwierigen zweiten Roman sei, das dazu führe, dass er für viele Autor*innen dann tatsächlich schwierig sei. Sie erzählen von langen Recherchen und frühen Schreibphasen, in denen sie, auch noch mit dem ersten Projekt beschäftigt, schon den zweiten Roman angefangen haben. Dem angsterfüllten Moment, das zweite Buch nach dem ersten anzufangen, gaben sie so gar nie Raum.

Die Furchtlosigkeit vor dem zweiten Roman – ein gutes Omen? Beim Erklingen der Texte «Fünf Jahreszeiten» und «Radost»  wird jedenfalls klar, dass es sich um ausgereifte Werke handelt und sich tatsächlich keine Spuren von Mühsamkeit zeigen. Die Geschichten – soweit sie in der Lesung zum Vorschein kommen – wirken rund.

Vielleicht, weil in beiden Romanen jeweils zwei Teile zueinander gefunden haben: In «Fünf Jahreszeiten» ist da einerseits die Aussensicht auf das Aufsichtspersonal von Museen und andererseits das innere Gefühl der Pause, das beim Erleben einer solchen Arbeit entstehen kann, sowie weitere, subjektive Lebenseindrücke einer jungen Frau. «Radost» setzt sich zusammen aus der Geschichte eines psychisch Kranken, der sich im Laufe der Geschichte mit dem Erzähler anfreundet, und den Reisen des Erzählers, mit und ohne Rad, unter anderem nach Zagreb und Sansibar. Einmal liest Frédéric Zwicker vor, einmal Meral Kureyshi. Dabei bleibt es leider. Die beiden Texte hätten noch eine grössere Bühne verdient, mehr Zeit, gelesen zu werden.

Dafür kommen die Autor*innen einfach und schnell ins Gespräch. Auf die Fragen der Moderatorin scheint aber vor allem Meral Kureyshi nicht ganz entspannt zu antworten. Was da stört, ist unklar, aber da ist von Anfang an etwas, das einrastet und zwischen den beiden nicht in Bewegung kommt.

Wann ein Buch fertig sei, möchte Arlette Graf wissen. Die «Kinderfrage», wie sie sie nennt, birgt durchaus Tiefen. Frédéric Zwicker sagt, was gesagt werden muss und meint pragmatisch: wenn das Buch gedruckt ist. Meral Kureyshi aber bricht eine Lanze für die unendliche Geschichte – es gäbe nie ein Ende, das, was da nun gedruckt sei, sei lediglich eine Möglichkeit, ein Versuch, aber das könnte genauso gut auch noch weiter gehen.

Die Autor*innen unterhalten sich lange über die Suche der Romanfiguren. Was ihre Figur sucht, will Kureyshi nicht verraten. Und Zwickers Figur wisse gar nicht, dass sie sucht, sie finde aber dafür ganz viel, zum Beispiel eine spezielle Freundschaft.

Auch die Lesung ist eine Suche, auf der nicht immer das Gesuchte gefunden wird. Aber gefunden wird auch hier einiges, und das ist ja eben auch was.

Für uns bei «Zürich liest»:
Selina Widmer

Vieles ist möglich, wenn dieses Zürich liest, aber eines ist sicher: Selina geht «auf ein Glas mit Meral Kureyshi und Frédéric Zwicker». Sie freut sich, auch diesen Herbst Teil des Buchjahr-Blogger*innen-Teams zu sein und nach gefühlten hundert Online-Lesungen endlich wieder mal den Karl (den Grossen) unsicher zu machen.

Selina studiert Germanistik in Zürich und mag es, wenn Menschen, Blätter oder Wörter tanzen.