Heimat als Tätigkeit

Von Sabine Cassani


Der Ort seines heutigen Gesprächs mit Isabelle Vonlanthen ist für Usama Al Shahmani durchaus bedeutend: War es doch genau hier in der Zentralbibliothek Zürich, wo der Autor des Romans «Im Fallen lernt die Feder fliegen» vor 17 Jahren Deutsch lernte und einige Texte des Theologen und Hermeneutikers Friedrich Schleiermacher ins Arabische übersetzte. Wegen eines Theaterstücks im Irak verfemt und in der Schweiz Asyl suchend, war er damals nicht einmal zum Eintritt in die ZB berechtigt. Wie er sich trotzdem Zutritt verschaffte, so verspricht er seinem Publikum, werde er in einem nächsten Text erzählen.
Die Anekdote passt sehr gut zu Usama Al Shahmanis neuen Roman «Im Fallen lernt die Feder fliegen». Dieser handelt von einer Flucht und den Schwierigkeiten der Integration: Die Familie der jungen Ich-Erzählerin Aida ist aus dem Irak über mehrere Stationen in die Schweiz geflüchtet. Die beiden Töchter lernen schnell Deutsch. Die Eltern aber begegnen in der neuen Umgebung vor allem Hindernissen. Gleich im ersten Auszug, den der Autor liest, wird die Wut des Vaters, eines Theologen, über seinen fluchtbedingten sozialen Abstieg spürbar. Für die Eltern wird so letztlich der Irak die Heimat bleiben, die Kinder jedoch leben in zwei parallelen Welten.
Dieser intergenerationelle Konflikt, der sich vor allem auch am Begriff der Heimat entzündet, wird für die Ich-Erzählerin dadurch verstärkt, dass sie in der Schweiz stets nach ihrer Herkunft gefragt wird. Immer muss sie deklarieren, woher sie kommt – und wird letztlich darauf reduziert.
Die Familie kehrt nach Saddam Husseins Hinrichtung in den Irak zurück, die Töchter aber finden dort keine Heimat und migrieren wieder in die Schweiz.
Danach gefragt, wieso er eine weibliche Ich-Erzählerin für diese Geschichte wählte, gibt der Autor zu bedenken, dass sehr viele Kriegsgeschichten aus der männlichen Perspektive erzählt worden seien. Vor allem aber betont Usama Al Shahmani, dass er selbst in der Sprache – und eben nicht in einem Ort – seine Heimat gefunden habe: im Arabischen, im Deutschen, im Schreiben und Übersetzen. Heimat sei für ihn deshalb eine Tätigkeit, nicht ein Ort.  

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