KW38

Über die Erotik des Schreibens

Anna Stern

Inmitten der Corona-Anfangswirren erschien bei Zytglogge Laura Vogts zweiter Roman «Was uns betrifft». Das Schweizer Buchjahr sprach mit der Autorin über Mutterschaft, Geschlechterrollen und die Lust des Schreibens.

Von Redaktion
14. September 2020

Der Titel deines zweiten Romans lautet Was uns betrifft. Wer ist «uns» und worauf bezieht sich das «Was»?
Einerseits hat mich bei diesem Titel das Floskelhafte interessiert, das wir aus Briefen kennen: «Was uns betrifft: Bei uns ist soweit alles in Ordnung». Damit verbindet sich eine gewisse Oberflächlichkeit, bei der es nicht darum geht, Schwierigkeiten offen anzusprechen, sondern diese beiseite zu wischen.
Andererseits bringt der Titel die verschiedenen Fäden des Romans zusammen, wobei das «uns» dabei für die Familie steht und sich für mich mit der Feststellung verbindet, dass die im Buch verhandelten Themenkomplexe wie Mutterschaft und damit verbundene Rollenbilder die gesamte Gesellschaft etwas angehen, auch wenn man im ersten Moment denken mag, sie betreffen nur die Frauenfiguren in ihrem kleinen Kosmos. Für mich haben diese Themen aber etwas Universelles: Sie werfen Fragen auf, von denen ich mir wünsche, dass sie häufiger gestellt und diskutiert würden.

Fragen rund ums Mutterwerden und -sein werden also in den privaten Raum der Frau abgeschoben?
Das ist etwas, das tatsächlich oft geschieht. Die Frage, welche Themen literarisch verhandelt werden und werden sollen, ist stark von einer männlichen Perspektive geprägt, die den klassischen Literaturkanon dominiert. Themen wie Kinderkriegen und Stillen haben in der Literatur nichts zu suchen. Greift ein Text solche traditionell weiblich konnotierte Themen dennoch auf, wird er nicht selten unter dem Label «Frauenliteratur» gehandelt. Dieser Etikettierung setze ich mich entschieden entgegen.

Auf dem Cover deines zweiten Romans sind ausschliesslich Frauen abgebildet. Leistet eine solche Gestaltung diesen Stereotypien nicht Vorschub?
Das ist eher dem Zufall geschuldet. Zuerst hat mich diese Gestaltung etwas gestört, später habe ich dann gemerkt, dass sie in dieser Form durchaus ihre Berechtigung hat. Im Buch dominieren weibliche Perspektiven: Rahel, Fenna und Verena figurieren als die Protagonistinnen der Erzählung. Die Relevanz weiblicher Sichtweisen ist mir nochmals so richtig klar geworden, als ich an den Sitzungen des St. Galler Frauenstreik-Komitees teilgenommen habe. Dort diskutierten wir, ob die Gruppe auch Männern offenstehen sollte. Uns erschien es dann aber wichtig, einen Raum ausschliesslich für Frauen zu schaffen, um zu schauen, was für eine Dynamik ohne die gewohnte Orientierung am Mann entsteht. Mich hat das überzeugt. Das Zielpublikum meines Buchs hingegen ist keineswegs auf Frauen* beschränkt. Ganz im Gegenteil: Ich hoffe, dass das Buch auch von Männern gelesen wird. Allerdings wäre es mir lieber, wenn das gar nicht so betont werden müsste.

Zur Autorin

Laura Vogt, geboren 1989 in Teufen (AR), absolvierte nach einigen Semestern in Kulturwissenschaften den Studiengang «Literarisches Schreiben» am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. 2016 debütierte Vogt als Autorin mit dem Roman «So einfach war es also zu gehen». Nebst Prosa verfasst sie Lyrik, Dramatik wie auch journalistische Beiträge. Zudem ist sie als Schriftdolmetscherin, Texterin und Mentorin tätig. Mit «Die liegende Frau» (2023) hat Vogt ihren dritten Roman veröffentlicht. Laura Vogt lebt im Kanton St. Gallen.

Was uns betrifft erzählt anhand von drei Frauenfiguren unterschiedliche Weiblichkeits- und Lebensentwürfe. Rahel ist Jazzsängerin und gibt ihren Beruf nach der Geburt ihres Sohnes auf.
Rahel und ihre Schwester Fenna sind als Kontrastfiguren konzipiert. Obwohl sie im selben Haushalt aufgewachsen sind, reagieren sie ganz unterschiedlich auf ihre jeweilige Schwangerschaft. Rahel orientiert sich eher an traditionellen, konservativeren Werten. Als sie ungewollt schwanger wird, fügt sie sich ihrem Schicksal, was für sie heisst, dass sie ganz in der Rolle der Mutter aufzugehen hat. Diese Reaktion sehe ich bei Frauen erstaunlicherweise immer wieder, trotz der Bemühungen zahlreicher feministischer Bewegungen: Sie werden schwanger und machen sich im Zuge dessen selbst zur Alleinverantwortlichen für Kind und Haushalt. Wie viele Familien gibt es, in denen die Frau 0-40% arbeitet, der Mann hingegen 80-100%? Diskussionen darüber werden im Einzelnen oftmals gar nicht geführt.

Mich interessierte es, einen narrativen Reflexionsraum für die Frage zu schaffen, inwiefern gelebte Mutterschaft mit persönlichen Entscheidungen zu tun hat oder nicht vielmehr an soziale Machtstrukturen gebunden ist. Allerdings kann und will ich diese sehr komplexen Fragen zur Mutterschaft nicht abschliessend beantworten, sondern möchte vielmehr den Blick für die darin wirksamen Mechanismen öffnen. Gesellschaftlicher Druck und persönliche Erfahrungen prägen unsere Entscheidungen in erheblichem Mass. Bei Rahel sind das die eigenen Kindheitserfahrungen und der daraus erwachsende Drang, der klassisch-traditionellen Mutterrolle zu entsprechen. Erst später erkennt sie, dass es ganz diverse Formen der Mutterschaft gibt. Gelebte alternative Familienmodelle sind enorm wichtig, um traditionelle Rollenbilder aufzuweichen.

Trotz der intensiven Reflexion des zeitgenössischen Genderdiskurses umschifft dein Buch eine starre Programmatik. Vielmehr kommt auch ein spielerisches Element zum Tragen, wie etwa wenn Rahel auf die Frage, ob sie sich mal etwas Unerhörtes gönne in ihren Texten, entgegnet: «Manchmal forme ich mir einen Dildo aus Papier. Oder eher einen Dildo aus Geschichten. Das kommt gutem Sex erstaunlich nah.» Was hat es mit dieser lustvollen Analogie auf sich?
Man kann durchaus sagen, dass Im Idealfall komme ich beim Schreiben in einen Flow, bei dem es auch um Aneignung geht. Ich kann beim Schreiben Themen, die mich belasten, transformieren und mich dabei von einer passiven Rolle in eine aktive hineinbegeben. Ich empfinde es in dieser Phase als extrem lustvoll, mit den Figuren zusammen eine Textwelt zu erschaffen. Klar, darauf folgt die Überarbeitung, die viel Kopfarbeit verlangt, aber in der ersten Schreibphase geniesse ich dieses intuitive, fliessende Arbeiten, das durchaus Parallelen zum sexuellen Erleben aufweist.

Eine weitere Analogie im Roman ist das «tektonische Beben». Schreiben als Kinderkriegen?
Ja, nur ist man mit einem Buch viel länger schwanger. Das ist ja mein zweites Buch und beide Male gab es eine grosse Veränderung in meinem Leben, als ich den jeweiligen Text fertiggestellt hatte. Wie ein Baby, das man im Bauch trägt, ist ein Text für lange Zeit mit mir verbunden. Beim Schreiben sitzt man alleine im Kämmerchen und irgendwann kommt der Text raus und man muss ihn loslassen, wobei mir Letzteres am schwersten fällt. Sobald der Schreibprozess abgeschlossen ist und das Buch veröffentlicht, kann nichts mehr geändert werden. Darin besteht dann auch der Unterschied zu einem Kind, das stetig weiterwächst. Ein Buch ist ein bisschen tot, wenn es erschienen ist.

Du hast ja in den Jahren 2012-15 am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel studiert. Was ist dran an Klischees wie «Institutsprosa» oder «Schreiben wie Malen-nach-Zahlen»?
Solche Aussagen kann ich nicht nachvollziehen. Bei den Büchern, die über die letzten Jahre von Absolvent*innen des Instituts erschienen sind, gibt es eine grosse stilistische und thematische Vielfalt. Ich persönlich habe die Ausbildung auch überhaupt nicht als uniformierend erlebt. Die Unterrichtsform ist offen, wobei der Schwerpunkt beim Mentorat liegt, bei dem man individuell mit einer Autorin oder einem Autor zusammenarbeitet und eigene Zugänge entdecken kann. Ich finde es bedauerlich, wenn diese Textvielfalt mit einer reduktiven «Institutsprosa»-Brille gelesen wird. Würde da kein Name draufstehen, liesse sich das doch gar nicht feststellen.

Wie stehst du zur Bezeichnung «Jungautorin»? Mich dünkt, sie sei als weibliche Zuschreibung viel verbreiteter.
An dieser Bezeichnung passt mir nicht, dass sie eine gesonderte Kategorie herstellt, die impliziert, dass dies eben nicht «das Eigentliche» ist. Man gehört dann nicht wirklich dazu. Darin offenbart sich aber das Spezifikum des öffentlichen Diskurses, die Stimmen und das Schreiben von Frauen derart zu rahmen.

Im Literarischen Monat hast du in einer eigenen Kolumne übers Schriftstellerin- und Muttersein geschrieben. Im Juli ist allerdings die letzte Ausgabe des Literaturmagazins erschienen. Verrätst du uns etwas über künftige Projekte? Welche Projekte beschäftigen Dich in Zukunft?
Die Kolumne hat mir grossen Spass gemacht und ich möchte diese Art des Schreibens gerne in einem anderen Format weiterführen. Ausserdem möchte ich mich in Sachen Mentorat und Literarische Workshops weiter etablieren. Ich habe mich mit Karsten Redmann zusammengetan und erste Projekte stehen bereits an. Am wichtigsten ist mir aber meine Arbeit an längeren Texten. Mein dritter Roman steckt noch in den Anfängen. Er handelt von drei sehr unterschiedliche Freundinnen, die verschiedene Beziehungsformen reflektieren. Mehr verrate ich aber noch nicht.

Das Gespräch führte Ursina Sommer.

Laura Vogt: Was uns betrifft. 210 Seiten. Basel: Zytglogge 2020, ca. 29 Franken.

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