Ein Odradek geistert über die St. Ursen-Treppe

Wie, was war nochmals ein «Odradek»? Diese Frage klärte sich heute an Rebecca Gislers Kurzlesung auf der St. Ursen-Treppe. Nach einer kurzen Anmoderation von Anna Rosenwasser las Gisler aus ihrem Romandebüt «Vom Onkel», eine Geschichte voller Kuriositäten.

Im Zentrum des Romans steht ein Onkel, der so stark übergewichtig ist, dass ihm der Bauch über die Tischplatte quillt. Ein einsames Warzenhaar, sogenannter «Lauch», wächst ihm am Hinterkopf. Wenn der Onkel nicht gerade auf dem Moped durch die Küstenlandschaft düst, spinnt er beim Essen die Fernsehnachrichten zu irrwitzigen Geschichten weiter oder fabuliert Definitionen darüber, was alles «Heavy Metal» sei.

Und dann die Sache mit dem Odradek, was war nochmals ein Odradek?

Der Onkel gleicht den Schnäppchen aus dem Supermarkt, die er liebt und massen- und messie-haft sammelt: Da ist die «Zahnstocherschachtel in Form einer Muschel, die eine Zigarette raucht», ein «Multipack emotionaler Schwämme», der «Marienkäfer-Timer» oder die «Wurstguillotine in einer Schachtel mit dem Abbild von Danton und Robespierre.» Exakt diese Schäppchen erinnern die Erzählerin an die Figur des Odradek aus Kafkas Erzählung «Die Sorge des Hausvaters», dort ist es ein undefinierbares Lebewesen in der Gestalt einer «Flachdrahtrolle». Gislers Onkel-Beschreibungen strotzen vor überbordernder Anschaulichkeit und Detailiertheit. Was ist ein Odradek? – Ein Schnäppchen, ein Ungeklärtes, ein Onkel, ein Odradek ist Odradek.