Es groovt in Thun

An der letzten Veranstaltung im Uferbaukino stellte ein von den letzten Tagen etwas mitgenommener Matto Kämpf mit viel Mut zur Improvisation die 5 Herren vor, die gemeinsam die Spoken Word Crew «Thun ist nirgends» bilden: Die beiden Musiker Jan Dintheer und Steven Wyss sowie die drei Slam-Poeten Michael Frei, Marco «Güschä» Gurtner und Remo Rickenbacher.

Es ging, wie man sich das vom Poetry Slam schon gewohnt ist (weil an den Wettbewerben die Auftrittszeiten streng gemessen werden) direkt zur Sache. Im ersten, von den drei Slammern zusammen performten Text, erzählen sie von einem Schwingfest, in der Mundart «e Chnechtehudlete». Nachdem erst einmal untereinander geklärt werden musste, dass es hier ums Schwingen und nicht ums Swingen geht, jagte eine Pointe die nächste. Es war ein «chnorze und hudle» im Sägemehl, im Schlussgang schliesslich gewann niemand, der Kampf wurde «gschtellt». Die drei Poeten an den Mikrofonen und auch ihre beiden Kollegen, die alle Texte mit passender Musik unterlegten, gaben ein gutes Team ab. Keine Patzer, keine Verspätungen, keine ungeplante Stille.

Auch die anderen Texte, die von Gurtner, Frei und Rickenbacher jeweils einzeln vorgetragen wurden, entlockten dem Publikum laute Lacher. Gewitzt erzählten die drei von Badi-Fritteusen und Jazz-Warteschlangen am Telefon, von der Hochzeit einer Ex-Freundin und von der unverständlichen Jugendsprache in einem Kleiderladen. Die Witze entstanden aus dem Zusammenspiel von Text und Musik, aus der Spannung, die sich daraus ergeben konnte, aus der Mundart, in der auch die ganz kleinen Dinge immer nochmals kurioser scheinen. Und dass es einen äusserst unterhaltsamen Emmentaler Konjunktiv gibt, wussten wahrscheinlich die wenigsten Zuschauer:innen.

Merci, «Thun ist nirgends», für einen würdigen und gewitzten Abschluss der Solothurner Literaturtage.

«Krachende Nackenhaare» und «kandierte Idyllen»

Beim Betreten des alten Theaters fühlt man sich, als würde man in einem hohen, dunklen Kessel Platz nehmen. Der Sommer ist hier ausgesperrt, der Literaturtrubel weit weg. Lukas Gloor, Germanist und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift «Narr», heisst die Gäste willkommen und stellt klar, dass hier keine Lesung im engeren Sinne, sondern vielmehr eine «Spoken Poetry Performance» stattfinden wird. Mit gespanntem Applaus begrüsst das Publikum Schriftstellerin Simone Lappert und Musikerin Martina Berther, die diese Performance gemeinsam bestreiten werden. Lappert, Absolventin des Schweizerischen Literaturinstituts, hat dieses Jahr ihr drittes Buch herausgebracht: den Gedichtband «längst fällige verwilderung». Berther widmet sich als E-Bassistin unterschiedlichen Musikprojekten und hat 2020 den Schweizer Musikpreis gewonnen.

«du kannst alles noch einmal zählen, es fehlt / nicht an windmessern, platzbauten, zeit», setzt Lappert zum ersten Gedicht an, das auch ihren Gedichtband eröffnet. Langsam steigt Berther mit dem E-Bass ein. Die Musik ist vorsichtig tastend, lässt der Lyrik den nötigen Raum, selbst zum Klingen zu kommen. So merkt man schnell: Der Rhythmus muss nicht an Lapperts Sprache herangetragen werden, der Rhythmus steckt in den Gedichten selbst. Berther und Lappert sind ein eingespieltes Team, und es erstaunt nich, dass die beiden Frauen auch ausserhalb der Solothurner Literaturtage gemeinsam auftreten. Musik und Stimme überzeugen so gerade im Doppel, funktionieren aber auch für sich: Auch die Passagen, die Lappert ohne Begleitung liest, geben eine überzeugende Performance ab. Auswendig, mit grosser Präsenz und sicherer Stimme trägt sie ihre Gedichte vor. Diese handeln von Mensch und Natur, Vergänglichkeit und Erinnerung, Stillstand und Aufbruch. Immer wieder blitzt das Wilde hervor; oft in Verbindung mit weiblicher Unangepasstheit, die sich langsam aber sicher Bahn bricht. Lapperts Sprache ist dabei so vielseitig wie die verhandelten Themen selbst: Mal behutsam, mal erstaunlich rau, immer stark. Oft müssen die Wortbilder im eigenen Kopf noch einen Moment lang nachklingen, um besser eingeordnet werden zu können.

So abwechslungsreich wie Lapperts Gedichte ist auch Berthers musikalische Begleitung. Sphärisch-verträumt bis aggressiv-lärmig – Berther entlockt ihrem Instrument sämtliche Klangregister. Manchmal formen sich aus den Tönen ganze Landschaften, die sich organisch um die Gedichte von Lappert legen: Die Pampa von Albany, aber auch die Seetaler Mondnacht finden im alten Theater Platz. Zart und zugleich entfesselt, so kommt Lapperts «längst fällige verwilderung» in Solothurn daher. Sie reiht Gedicht an Gedicht; spontane Kommentare und Nebenbemerkungen gehören nicht hierhin. Das Publikum scheint das aber auch nicht zu vermissen und hängt bis zum letzten Wort an Lapperts Lippen.