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NORM VERSUS NISCHE DIE GROSSE EIERSTOCK FARCE KANDIDATUR FÜR EINE NEUE IKONOGRAPHIE

Bärfuss Mora

Katja Brunner räumt gehörig auf mit allem – dem Literaturbetrieb, der weiblichen Poetik, den genderstereotypen Zuschreibungen. Eine brennende Elegie für die Solidarisierung.

Von Katja Brunner
17. Mai 2019

WEIBLICH IST EINE NISCHE UND MÄNNLICH IST DIE NORM

WEIBLICHE POETIK GIBT ES NICHT

DER GEIST DER KUNST IST ANDROGYN

VON DER ERWEITERUNG DER NORM ZWECKS IHRER ZERSTÖRUNG

BINARITÄT WAR NOCH KEINE SCHLÜSSIGE ANTWORT AUF IRGENDETWAS

Ok, wie kann ich als schreibendes Individuum über betriebliche Umstände und Zustände und strukturelle Unsichtbarmachung nachdenken

Ok, wie kann ich als Literatur produzierendes Wesen, welches «weiblich» ist – was auch immer das bedeuten mag und welche Assoziationen und Kosmen ein so enger wie zugleich breiter Begriff mit sich trägt und mit sich schwingt –

wie kann ich beharrlich an einer neuen Ikonographie arbeiten ?

Ok, auf welche Ahninnen des Schreibens schaue ich – ?

Auf viele anämische Briefeschreiberinnen adligen Ursprungs und auf potente Suizidentinnen.

WAS FÜR EINE ZUKUMPFT, DIE SICH MIR ENTGEGENRUMPFT

Ok, auf welche Art von Ahninnen schaue ich?

Auf eine lange Geschichte der Marginalisierung; Ja, wir wissen das alle, deshalb rasieren wir jetzt auch mit Wilkinson.

Und das hier ist ein Klagelied.

Und ich kann es singen und nochmal singen und immer wieder singen.

Und dabei Laute des Wehklagens gegen einen Himmel richten, der sich herzlich wenig für mich interessiert – und Lektoren betrübt auf ihre Fehlbarkeit ansprechen, wenn ich sie an einer Veranstaltung antreffe und sie von einem meiner Texte irgend ein Derivat abgespeichert haben und jenes in den neuen Begriff für was-in den-90ern-noch-Frauenliteratur hiess, nämlich FEMINISTISCH einpassen.

Oder an einer Literaturveranstaltung der einzigen anderen geladenen Person der Kategorie «Frau» vorgestellt zu werden, mit den Worten: Ihr müsst euch wirklich unbedingt mal kennenlernen, das dachte ich schon lange ah ja – und dann sitzen wir am Katzentisch.

Frauenliteratur heisst es seit jeher und immer wieder, wenn ein weiblicher Mensch einen Roman über zBsp eine Mutter und deren Mutterwerdung schreibt. Ahja, das ist ja ein ausschliesslich für Frauen relevantes Thema, logo, ahja und wo kommen wir meistens her? Also alle, auch jene, die FRAUENLITERATUR gerne verwenden als nivellierende Zuschreibung? Aus so einer Mutter, aus so einem Körper, der irgend mit — zäck, da war s wieder, Fortpflanzungsorganen ausgestattet ist –

Zur Autorin

Katja Brunner, geboren 1991 in Zürich, lebt in Berlin und Zürich. Sie studierte Literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste in Biel und Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Brunner schreibt Dramen, Prosa und Lyrik, veröffentlichte Essays in verschiedenen Zeitungen und tritt als Performerin auf. Für ihr erstes Theaterstück «von den beinen zu kurz» wurde sie 2013 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet und ist damit die jüngste Preisträgerin in der Geschichte dieser Auszeichnung. 2018 erhielt sie den Förderpreis des Regierungsrates Zürich für ihr künstlerisches Schaffen. Brunners Stücke werden an den renommiertesten Theaterbühnen im deutschsprachigen Raum gespielt, u.a. Berliner Volskbühne, Schauspiel Leipzig, Bochum und Köln. Im Wintersemester 2020/21 ist sie ausserdem Gastprofessorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und doziert am Bieler Literaturinstitut. Mit «Geister sind auch nur Menschen» veröffentlicht Brunner ihr erstes Buch.
Foto: © Katrin Ribbe

Aber natürlich ist der Blick der Frau einer, der per se marginalisiert sein MUSS, sonst funktioniert doch das ganze Gedöns mit dem Androzentrismus nicht mehr, sonst funktioniert s ja nicht mehr, dass eine ganze Gesellschaft ein fetter safe space für Männer ist, während keine Ahnung wie viele, aber viele weibliche Menschen abends nachhause kommen und kurz denken: Huff, zum Glück ist heute nix passiert – oder eine Sauna sofort verlassen müssen, weil der Dude mit dem Halbständer schaut und schaut oder beim Nachhausegehen telefonierend tun, um zu zeigen ich hab akku und leute die ich nachts um 4 anrufen kann, die polizei imfall auch oder oder / oder / wir kennen‘s zu genüge.

Frauenliteratur heisst es, wenn eine Frau ein Buch schreibt, in welchem es um Menschen geht, also auch um Frauen.

Und Fräuleinwunder – eine weitere unverkennbare Stilblüte aus der androzentrischen Sphäre – heisst es, wenn diese junge Frau, die das Buch mit den Menschen drin geschrieben hat, jung ist. So viel Informationen gereichen vollends zu einer Nivellierung und begrifflichen Einpassung, zum Zootierstatus – und zur erfolgreichen Abschreckung von einigen Lesenden – DENN UNSERE LESESOZIALISATION, DAMIT WILL MAN JA GAR NICHT ERST ANFANGEN !!! –

Und ja, mag man denken, naja, ein Labelling, scheiss auf ein Labelling, das Ganze nennt sich Kapitalismus, beruhig Dich mal und Adorno sagte imfall auch schon, dass der Markt alles reguliert und scheinbar scheinen jene Begrifflichkeiten vollends auszureichen.

Aber welch enge Grenzen zieht ein Labelling und welche Macht und Geste der Macht birgt ein solches? Wenn ein Mann ein Buch über einen männlichen Menschen schreibt, der seine Reproduktionsorgane nutzte, und das Resultat jetzt in Menschenform auf der Welt herumgeht, dann heisst das: Beeindruckende Studie über den Zerfall einer Beziehung

und wenn ein junger Mann ein Buch über einen jungen männlichen Menschen schreibt, es sich gut verkauft und der denkwürdige junge Autor etwas geekig aussieht, heisst es: Der hochbegabte Schriftsteller XY erzählt in «BLABLABLA» eine präzise, hochkomische Menschheitsfarce: und wenn es dann bei genauerer Draufsicht leider – bis auf Randfiguren männliche Figuren sind ausschliesslich, dann ist es trotzdem nie Männerliteratur. Sondern schlicht LITERATUR.

(Männerliteratur ist vielleicht ein verstohlen geäussertes Wort für erotic content oder irgendwas mit Jagd und / oder dem sommers stattfindenden Zubereiten von Fleisch.)

WIR KOMMEN AUS DEM DISKURS NICHT RAUS

aus der Dichotomie scheinbar auch nicht

und das ist entsetzlich

AAAABER ICH HABE EINIGE PRAGMATISCHE TIPPS AN SCHREIBENDE IN SÄMTLICHEN SCHREIBBERUFEN:

EMPFIEHL DEINE KOLLEGINNEN WEITER

ZITIER DEINE KOLLEGINNEN

DENK AN EINE FUCKING PILZSTRUKTUR RHIZOM PILZVERÄSTELUNG

DIE EINEN GANZEN WALDBODEN DURCHZIEHT UND AN DER ERDOBERFLÄCHE SPRIESSEN PILZE

DENK AN EINEN MUSKEL, DEN MAN TRAINIERT

EMPFIEHL DEINE KOLLEGINNEN

SIEH SIE NICHT ALS KONKURRENTINNEN, SONDERN ALS MUSKELFASER NEBEN DIR

STREITE DICH MIT IHNEN

PRODUKTIVER DISPUT UNTER WEIBLICH GELESENEN SCHREIBENDEN IST REVOLUTIONÄR

BENENN MANNMANNMÄNNLICHES GEBAREN, WENN DU ES SIEHST – GERNE AUCH FREUNDLICH –

DU BIST NIEMENSCHEM ERKLÄRUNG SCHULDIG

ENTSCHULDIGE DICH NICHT MEHR

Und leider bleibt wahr, die heftigsten Angriffe, Neidattacken und das engagierteste unfair play habe ich mit, von und sponsored by Frauen aus dem Kulturbetrieb erlebt.

Den Raum, den man sich teilen muss als WEIBLCH IDENTIFIZIERTE WESEN, den Raum auch noch so hässlich zu halten, so unwirklich unwirtlich, das ist wahrhaft ein Werk für sich.

Den Raum so garstig zu halten und damit so eng und das ist nur der geizig zugestandene Raum, aber so garstig wird er behandelt, dass er auseinander fällt und wir also vereinzelt und schutzlos wieder da stehen:

Die Destabilisierung unserer Positionen erfolgt häufig über strategisch veranlasste Vereinzelung. Selbst im Schmerz über den Ausschluss, in der Art der subtilen Diskriminierung wird ein mögliches WIR einander entfremdet.

und darum umso glücklicher, dass wir hier und heute auf diesen Seiten ZUSAMMEN SIND mit all den Toten

und künftig Lebenden an den Eierstöcken, denen die s noch geben wird

UND ZUM ABSCHLUSS NOCH EIN HELENE CIXOUS ZITAT:

DER RASSISMUS UND DER FRAUENHASS SIND ZWEI VERWANDTE WEGE, ANDERE/S NICHT EXISTIEREN ZU LASSEN, AUSZULÖSCHEN, AUSZUSCHLIESSEN ODER ZU VERSCHLEIERN.

WIR MÜSSEN DIE ENTSCHLEIERUNG PRAKTIZIEREN.

WIR MÜSSEN GEGEBENE DICHOTOMIEN historisch entwachsen

umdeuten

IN EINE STIMMUNDBILDVIELFALT FÜHREN

SPRACH UND BILDERSUCHE eigens dafür

WAS FÜR EIN AUSBLICK IN EINE ZUKUMPFT.

 

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der feministischen Woche am Deutschen Seminar der Universität Zürich, die vom 13. – 17. Mai im Hinblick auf den Frauen*streik am 14. Juni veranstaltet wird. Anlässlich dieser Woche veröffentlichen wir Beiträge von Autorinnen, die Literatur im Brennpunkt feministischer Perspektiven reflektieren. Detaillierte Informationen zum Programm und zur Aktionswoche: Flyer & Veranstaltungsseite.

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