KW46

«Die Wörter sind die Haut einer Geschichte»

aglaja veteranyi

Vor sechzehn Jahren schied Aglaja Veteranyi in Zürich aus dem Leben. Neu entdecken lässt sich die Autorin nun in zwei Nachlassbänden. Selina Stuber berichtet von der Vernissage im Zürcher «sogar theater».

Von Selina Stuber
14. November 2018

Langsam schweben Tafeln mit Wortfragmenten auf die Bühne des sogar theaters. Orchestriert von Jens Nielsen, der bedächtig an einzelnen Silkschnüren zieht und so die daran befestigten Tafeln ins Rollen bringt. Nach und nach formen sich die Fragmente zu Wörtern, bis die Abfolge WÖRTER STATT MÖBEL für die ZuschauerInnen erkennbar wird. So lautet der Titel des Buches von Aglaja Veteranyi, das an diesem Abend mit einer musikalischen Lesung gefeiert wird.

Wörter statt Möbel ist einer von zwei Bänden mit Texten Veteranyis, die diesen Herbst in der edition spoken script des Verlags Der gesunde Menschenversand erschienen sind. In ihnen versammelt sind Kurzgeschichten, Sprüche, Gedichte und Romanfragmente aus dem Nachlass der Schweizer Schriftstellerin versammelt und werden, rund sechzehn Jahre nach Veteranyis Tod, erstmals für ein breites Publikum zugänglich. Die zwei Bände verfolgen nicht den Anspruch einer kritischen Edition, sondern fassen Fundstücke und Fragmente – so die Untertitel der Werke – aus dem Nachlass zusammen. Verantwortet wird die Edition von Jens Nielsen (Veteranyis ehemaliger Lebenspartner und Nachlassverwalter), Ursina Greuel und Daniel Rothenbühler.

Zur Autorin

Aglaja Veteranyi wurde 1962 in Bukarest als Tochter einer rumänischen Artistin und eines ungarischen Clowns geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit in Westeuropa, Afrika und Südamerika. Mit 16 Jahren kam Veteranyi mit ihrer Mutter in die Schweiz, um in Zürich die Schule der Schauspiel-Gemeinschaft zu besuchen. Sie gründete die literarische Experimentiergruppe «Die Wortpumpe» mit René Oberholzer und die Performance-Theatergruppe «Die Engelmaschine» mit Jens Nielsen.
Zahlreiche Theaterprojekte entstanden und Texte erschienen in Anthologien, Literaturzeitschriften und Zeitungen. Bei der DVA in München erschienen der Roman «Warum das Kind in der Polenta kocht», nach ihrem Tod «Das Regal der letzten Atemzüge» und die Geschichtensammlung «Vom geräumten Meer, den gemieteten Socken und Frau Butter». Aglaja Veteranyi nahm sich 2002 in Zürich das Leben.
Foto: © Ayse Yavas

«Wer mich missversteht, versteht mich richtig»

In Wörter statt Möbel dominieren Kurz- und Kürzestgeschichten sowie Sprüche und Gedichte. Die Texte sind geprägt durch sprachlichen Reduktionismus, überraschende Wendungen und surreale Metaphern. Veteranyi schafft Mini-Universen und Minidramen, die keiner bekannten Logik folgen: Alltägliche Situationen kippen ins Absurde, Objekte werden beseelt und Tote kehren ins Leben zurück. Orangen werden als Menschen wiedergeboren, Puppen erhängen sich und individualisierte Sterbekurse werden beworben. Die Texte entfalten ganz unangestrengt eine unmittelbare Wirkung: Sie lassen Bilder im Kopf entstehen, bevor man überhaupt Zeit hat, sich deren Absurdität bewusst zu werden.

Lässt man sich auf diese wundersame Welt ein, so füllt sich bald der Kopf mit den unwahrscheinlichsten Begebenheiten. Die lockere Anordnung der Texte – oft ist nur ein Satz auf einer Seite abgedruckt – lädt dazu ein, im Band zu stöbern und innezuhalten. Es lohnt sich, nach einem ersten Lachen oder Erschrecken, über das Gelesene nachzudenken. Veteranyi demonstriert einen spielerischen, kreativen Umgang mit der Sprache, bei der die Freude an den unendlichen Möglichkeiten von Form und Inhalt spürbar ist. Hier hat man es mit einer Autorin zu tun, die Worte nicht als Werkzeug versteht, sondern diese so mit Bedeutung auflädt, dass sie ganze Denkräume auszufüllen vermögen.

Der Monolog Mamaia bildet den Abschluss und Höhepunkt des Bandes zugleich. Darin erzählt eine rumänische Mutter, Miss Polonic, in gebrochenem Deutsch von ihrer Karriere als Zirkusartistin, ihrer Familie und ihrem Leben in der Schweiz. Immer wieder wird die komisch-unterhaltsame Erzählung von Passagen unterbrochen, hinter deren unscheinbarer Kürze sich eine grosse Tragik verbirgt. Mamaia besticht durch ostentativ inszenierte Mündlichkeit. Veteranyi bildet dabei jedoch nicht einfach die sprachliche Ausdrucksweise von rumänischen MigrantInnen ab, sondern stilisiert diese zu einer Kunstsprache und räumt ihr so einen Platz in der Literatur ein.

Leute in meine Land 40 Jahre warten für die Demokratia

Jetzt warten für eine neue Diktator

Sie sagen wann du haben Diktator du haben eine Haus

Was ich machen mit die Freiheit?

Kann ich Demokratia essen?

Der zweite beim Gesunden Menschenversand erschienene Band trägt den Titel Café Papa. Fragmente. Er enthält längere Texte, die inhaltlich durch ihren starken Rumänien-Bezug zusammengehalten werden. Man hat es hier mit einer abwechslungsreichen Mischung von Texten zu tun: Neben den umfangreicheren Textfragmenten Café Papa und Vorsicht bissige Hühnersuppe enthält der Band den Reisebericht Lustiger Friedhof und eine Urfassung des Polenta-Romans von 1995. Die ausgewählten Texte verdeutlichen die Vielfalt von Veteranyis Schreiben und zeigen Facetten, die in den bisher publizierten Werken noch nicht zum Ausdruck kamen.

Sich selbst erinnern

So verhandelt Vorsicht bissige Hühnersuppe das Leben Daniil Charms im Exil in Venedig. Die Erzählung spielt mit dem Genre der Biografie und listet mögliche sowie unmögliche Begebenheiten aus dem Leben des russischen Schriftstellers in neutralem Ton auf. Veteranyi schenkt Daniil Charms mit ihrem Text ein zweites, fiktives Leben, das nach seinem Tod im russischen Gefängnis einsetzt: «Nachdem der Dichter Daniil Charms, der Meister der Groteske, im russischen Gefängnis verhungert war, flüchtete er nach Venedig.» In der Kombination von wissenschaftlichem Duktus und phantastischen Fakten schafft Veteranyi eine faszinierende Auseinandersetzung mit einem ihrer literarischen Vorbilder. Auf die Ähnlichkeit, die zwischen Veteranyis und Charms literarischem Schaffen festgestellt werden kann, weist die Autorin in einer Fussnote gleich selbst hin: «Seine Prosagrotesken lassen an (die ihm unbekannte) Veteranyi erinnern.»

Jener Veteranyi gewidmete Abend im sogar-Theater stellt unter Beweis, dass die Bände in der edition spoken script gut aufgehoben sind. Veteranyi hat ihre Texte immer auch für die Bühne geschrieben, vorgetragen und so zu verbessern versucht. Gerade durch ihre präzise Sprache und die vielen tragikomischen Elemente, entfaltet ein Grossteil der Kurzgeschichten auf der Bühne eine besondere Wirkung. So ist es möglich, dass dem Publikum ein anfängliches Lachen durch eine unerwartete Wendung im Hals stecken bleibt oder – umgekehrt – sich eine bedrückte Stimmung durch eine Pointe plötzlich auflöst.

Aglaja Veteranyi: Wörter statt Möbel. Fundstücke. 180 Seiten. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2018. 23 CHF.               Aglaja Veteranyi: Café Papa. Fragmente. 152 Seiten. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2018. 23 CHF.

Zum Verlag