«Letztlich bleiben sie getrennt»

Martin R. Dean präsentiert seinen Liebesroman Warum wir zusammen sind und erklärt uns, wie er anhand von sechs Paaren die absolute Dichotomie einer Beziehung definiert.

Im Zentrum des Romans steht die bröckelnde Beziehung zwischen Irma und Marc. Ihre Liebesgeschichte bettet Martin R . Dean zwischen 1999 und 2016 ein – der Anbruch und das Ende einer historische Ära, die Jahrtausendwende und der Entscheid zum Brexit.

Im Verlauf der zwanzigjährigen Ehe von Irma und Marc sei laut Dean viel passiert: Während sie sich anfänglich noch verliebt in die Augen schauten, dann eine Zeit lang wie zwei Beifahrer lebten, sitzen sie nun Rücken an Rücken aneinander und sehen dem Ende ihrer Beziehung entgegen. Diese Paarkonstellation verdeutlicht das Leitmotiv der Spiegelung, das im Roman sowie an der Gegenüberstellung von Mann und Frau festgemacht werden kann.

Im Gespräch mit Tabea Steiner führt Dean aus, inwiefern das Paar Irma und Marc die zweigeteilte Struktur des Romans spiegeln. Warum wir zusammen sind wird nämlich aus zwei unüberbrückbaren Perspektiven geschildert: Eine männliche und eine weiblich. Diese Perspektiven sollen laut Dean im Roman zwingend getrennt bleiben, denn letztendlich seien Frauen und Männer völlig unterschiedliche Wesen. Als Tabea Steiner ihn skeptische darauf anspricht, ob denn eine so absolute Dichotomie der Geschlechter heute noch tragbar sei, argumentiert Dean, dass das Zeitalter der Genderfluidität erst nach 2016 begann. Ob diese Zeitmarke von allen Menschen so gesetzt worden wäre, bleibt fraglich.

Von Ayla Florin und Stefanie Isler

«Agfange het alles schöön…»

Und das stimmt. Andreas Neeser eröffnet den heutigen literaare-Samstag im sonnendurchfluteten Rathaussal mit seinem Mundartroman Alpefisch, der die schwierige Liebesgeschichte von zwei traumatisierten Mitzwanzigern verhandelt.

Der angehende Sonderschullehrer Chrigel Brunner lehrt in der Bibliothek, wo ihm «d Baarfisfrau» Katrin mit ihrem hübschen, chinesisch anmutenden Lächeln zugleich auffällt. Brunner ist klar: «Soo chönnt öppis afoo». Auch Katrin ist angetan. Ihr gefallen Chrigels Finger und sie ist sich sicher, dass er schreibt. Doch Brunner verneint. In seinem Leben hat er bisher lediglich drei unbrauchbare Gedichte verfasst und sowieso: «Als junge Schnuufer sett me keni Büecher schriibe».

Selbstironisch nimmt Andreas Neeser an dieser Stelle Bezug auf seinen Erstlingsroman «Schattensprünge» aus dem Jahr 1995. Im Gespräch mit Céline Tapis führt der Autor aus, dass ihm bei seinem Erstling vieles gelungen sei, ihn im Nachhinein aber auch manches genervt habe. So habe «Schattensprünge» als Steinbruch-Vorlage für eine neue, zeitlose Liebesgeschichte in wortgewaltigem Ruedertalerdialekt fungiert.

Das Problem für die Sprachlosigkeit der beiden Protagonisten liegt dabei in deren Vergangenheit: Chrigel hat seinen jüngeren Bruder bei einem Verkehrsunfall verloren und Kathrin wurde über Jahre hinweg von einem Arbeitskollegen ihres Vaters missbraucht. Obwohl die beiden Protagonisten für sich selber durchaus Worte für ihre Verletzungen finden, gelingt ihnen die Kommunikation miteinander nicht. Beide verfolgen eigene Strategien, um Frieden mit ihrer Vergangenheit zu schliessen.

So wandert Chrigel beispielsweise auf den Pilatusgipfel, um sich an den verstorbenen Bruder zu erinnern, um sich über das «Bubizüg» mit Katrin klar zu werden und um sich auszumalen, wie es wäre, als «Alpefisch» in der weissen Zuckerwatten-Wolkendecke abtauchen zu können. Dass die Beziehung nicht funktioniert und dass die beiden nicht richtig zueinander finden, aber auch nicht voneinander loskommen, liegt – wie Neeser ausführt – im fehlenden Bewusstsein der Figuren: Zu vieles wurde zu lange verdrängt. Auf die Frage von Céline Tapis, ob Chrigel und Katrin nicht besser versuchen sollten, alleine zurecht zu kommen, weiss der Ruedertaler Romancier dann allerdings auch keine Antwort.

Ob der Autor seine Figuren versteht, ist letztlich auch egal. Die traurige Liebesgeschichte besticht ohnehin bereits durch ihre sprachliche Gestaltung, durch Rhythmus und Klang. Und vielleicht ist genau das das Geheimnis dieses Mundartromans: Der Plot trägt die Form.

«Mundart chunnt vo neume andersch»

Mit Alpefisch hat Andreas Neeser seinen ersten Roman auf Mundart geschrieben. Im Gespräch an der literaare erzählt er von seiner «hütige Gschicht».

Andreas Neeser hat bereits drei Erzählbände auf Mundart veröffentlicht, die alle Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre spielen. In Alpefisch greift er nun Motive seines Erstlingwerkes Schattensprünge (1995) auf, gibt dem Ganzen aber einen moderneren und mündlichen Schwung – und landet damit zum ersten Mal im Genre des Mundartromans.

Im Gespräch mit Céline Tabis bezeichnet Neeser die Mundart als seine Ursprache, seine Mutter- und Vatersprache, die ihn im Aargauischen Ruedertal verwurzle. Die Sprache im Alpefisch sei authentisch, auch wenn Neeser selbst im Alltag nicht immer im ursprünglichen Ruedertalerdialekt spricht. Seine Mundart sei lange verschüttet gewesen, an der Kantonsschule habe er sich dafür fast ein bisschen geschämt. Doch beim Schreiben seien immer mehr Wörter aus seiner Ursprache «plötzli oppsi cho».

Die Mundart komme von einem ganz eigenen Ort, so Neeser, «vo neume andersch». Es sei, als ob «es anderes Organ zueständig wär». Und auch Deutschschweizer Publikum scheint die Mundart «neume andersch» anzukommen. Ausserdem sei es eine grosse Herausforderung gewesen, die eigentlich gesprochene Sprache zu verschriftlichen, ihre Mündlichkeit in die Schriftflichkeit hinüberzuretten. Doch dass sein Alpefisch dafür ganz neue innere Ohren erreicht, scheint Andreas Neeser die Mühe wert gewesen zu sein.

Des Pudels Kern

Pandemische Zeiten sind erbarmungslos für Autor:innen und ihre Neuerscheinungen. Nicht nur die Lesungen fallen flach, auch die zauberhaften, frischgedruckten, in verlockende Umschläge eingehüllten Bücher liegen einsam und verlassen in den geschlossenen Buchhandlungen. Kaum beachtet werden nun viele von ihnen in die hinteren Reihen gerückt, denn der Berg an Neuem verdrängt die Perlen des letzten Jahres. Nicht so geschehen bei Monika Helfer. Mit grandiosem Erfolg ihres Werks «Die Bagage» hat sie sich vor gut einem Jahr von den Bestseller-Listen in den Lockdown verabschiedet, kurz darauf den Solothurner Literaturpreis mit in den Sommer genommen und bereits zu Beginn dieses Jahres mit «Vati» nachgedoppelt. Und kaum dürfen wir uns wieder zu Veranstaltungen versammeln, sitzt sie an der Eröffnungslesung der «literaare» bereit und liest. Und wie!

In zünftigem Tempo und einem entzückenden Hauch Nonchalance zurrt sie ihre Wörter zu einem Syntagma zusammen und lullt die Sinne der Zuhörer:innen ein. Wahrlich ein Genuss. Sie dynamisiert ihren Sprachfluss derart, dass zwischenzeitlich die Übersetzerin in Gebärdensprache um Tempodrosselung fleht. «Wie gelingt wohl die Übersetzung eines solchen Texts in Gestik und Mimik?», frage ich mich die ganze Zeit. Was geschieht mit einem Werk, dessen medialer Kern beseitigt wird? Was bleibt – wenn ein Teil der Sprache wegfällt – von einem Buch übrig als die blosse histoire und ist das dann noch Literatur?

Ganz nebenbei werden an dieser Lesung also zentrale literaturtheoretische Dinge thematisiert, wenn auch nicht immer freiwillig. So bekommt Moderator Benjamin Schlüer nach anfänglichen biografischen Tatsachenbezügen zu Monika Helfer grad noch die Kurve und abstrahiert doch noch zwischen Autorenrealität und Fiktion. Abseits von blossem Bestätigen eigener Thesen zum Text gelingt es ihm zusehends, ein Gespräch über die sich unweigerlich aufdrängenden Fragen nach dem Wesen des Erzählens aufzubauen. Dabei versucht er von Helfer zu erfahren, wie sie aus Erzählen und Erzähltem Fiktion baut und trifft den springenden Punkt. Hier hätte ich dem Gespräch der beiden gerne länger zugehört.

Die 16. Ausgabe literaare ist mit musikalischer Untermalung durch die Vibrafonistin Sonja Huber in literaturtheoretischer Hinsicht schwergewichtig ins Wochenende gestartet und verspricht weitere sprachliche Wohlklänge im Stundentakt. Kommet und staunet.

Unser Team in Thun:
Katharina Alder

Katharina Alder studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes im Frühling 2010 nahm sie ihr früheres Studium an der Universität Zürich wieder auf und belegt dort momentan Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft im Master.

2014 gründete sie aus purem Idealismus ihre eigene Buchhandlung – den klappentext in Weinfelden – und organisiert regelmässig kulturelle Veranstaltungen, so beispielsweise die Reihe textkultur sowie die Weinfelder Buchtage und den Weinfelder Buchpreis.

Seit der Rückkehr in die Schweiz hat sie Theater gespielt, zahlreiche Lesungen gehalten, Live-Hörspiele aufgeführt und unter dem Label alles&nichts verschiedene Veranstaltungsgefässe gegründet und kuratiert. Mit 6 Jahren erhielt sie ihren ersten Geigenunterricht. Sie spielte mehrere Jahre im Kammerorchester Konstanz, bevor sie Mitgründerin des im Thurgau ansässigen Kammermusik-Ensembles camerata aperta wurde.

Katharina liebt Texte und Musik, Frank Zappa und guten Rotwein, den Regen, die Melancholie, sandige Haut in der Sommersonne, Christoph Marthaler-Stücke und Wechselbäder der Gefühle.

Unser Team in Thun:
Ayla Florin

Wann immer die Realität zu voll, zu laut oder zu düster scheint, öffnen Bücher mir die Tür zu anderen Dimension. Eben noch befand ich mich in der Vergangenheit, jetzt in einem Paralleluniversum und plötzlich in der nahen Zukunft. Das Lesevergnügen aber bleibt beständig. Die Literatur ist mein Zufluchtsort. Durch sie werden meine Gedanken gleichzeitig beruhigt und neu inspiriert.

Ich studiere Germanistik und Skandinavistik an der Universität Zürich und freue mich darauf, am Literaare mehr von der aktuellen Literaturlandschaft zu entdecken.

Unser Team in Thun:
Okan Yilmaz

Das Buchjahr war schon an Literaturfestivals, Okan nicht. Okan war schon an Musikfestivals, das Buchjahr nicht. Wer jetzt in Versuchung gerät zu denken, dass zwei Objekte unterschiedlicher nicht sein können, der oder die oder das täuscht sich, denn die beiden teilen nicht nur eine, sondern gleich zwei Gemeinsamkeiten: Beide waren noch nie an der Literaare und beide freuen sich.

Wenn Okan für eine unbestimmte Zeit auf einer Insel verweilen müsste, auf die er lediglich ein Buch und eine CD mitnehmen dürfte, dann würde er sich für Thomas Manns Der Tod in Venedig und The Fat of The Land von The Prodigy entscheiden. 

Über sich selbst in der dritten Person schreibend, fühlt sich Okan wie Dobby, der Hauself. Aber eigentlich kann er das gar nicht sein, weil es Hauselfen untersagt ist zu studieren. Okan studiert aber. Er studiert an der Universität Zürich Germanistik und Philosophie. 

Unser Team in Thun:
Stefanie Isler

Lesen ist meine absolute Leidenschaft. Aus diesem Grund habe ich mich vor drei Jahren zu einem Germanistikstudium an der Universität Zürich entschlossen. Wenn ich mir nicht gerade Seminarlektüren zu Gemüte führe, lese ich am liebsten Gegenwartsliteratur, sowie Kinder- und Jugendbücher. Nebst meinem Studium arbeite ich als Primarlehrerin.
Ich freue mich riesig auf das vielfältige Programm der Literaare.

Unser Team in Thun:
Annabelle Körber

Tagsüber wälze ich Zahlen in Zürich, nebenbei studiere ich Germanistik sowie populäre Kulturen an der UZH und in meiner Freizeit find ich mich am liebsten in magischen Welten oder auf intergalaktischen Abenteuern wieder – mit Gandalf den Balgrog bekämpfend, mit der TARDIS durch die Zeit reisend und mit Kirk in Galaxien vordringend, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Bin ich nicht gerade in eine Geschichte vertieft, geh ich mit meinen lesefreudigen Freundinnen book clubbing oder würfle mit meinen Gefährten um unser Leben und den Tod von Monstern.

An der Literaare war ich noch nie. Bewaffnet mit Stift und Vorfreude begebe ich mich bloggend auf das unbekannte Abenteuer und freue mich auf die bezaubernde Veranstaltung.