Des Pudels Kern

Pandemische Zeiten sind erbarmungslos für Autor:innen und ihre Neuerscheinungen. Nicht nur die Lesungen fallen flach, auch die zauberhaften, frischgedruckten, in verlockende Umschläge eingehüllten Bücher liegen einsam und verlassen in den geschlossenen Buchhandlungen. Kaum beachtet werden nun viele von ihnen in die hinteren Reihen gerückt, denn der Berg an Neuem verdrängt die Perlen des letzten Jahres. Nicht so geschehen bei Monika Helfer. Mit grandiosem Erfolg ihres Werks «Die Bagage» hat sie sich vor gut einem Jahr von den Bestseller-Listen in den Lockdown verabschiedet, kurz darauf den Solothurner Literaturpreis mit in den Sommer genommen und bereits zu Beginn dieses Jahres mit «Vati» nachgedoppelt. Und kaum dürfen wir uns wieder zu Veranstaltungen versammeln, sitzt sie an der Eröffnungslesung der «literaare» bereit und liest. Und wie!

In zünftigem Tempo und einem entzückenden Hauch Nonchalance zurrt sie ihre Wörter zu einem Syntagma zusammen und lullt die Sinne der Zuhörer:innen ein. Wahrlich ein Genuss. Sie dynamisiert ihren Sprachfluss derart, dass zwischenzeitlich die Übersetzerin in Gebärdensprache um Tempodrosselung fleht. «Wie gelingt wohl die Übersetzung eines solchen Texts in Gestik und Mimik?», frage ich mich die ganze Zeit. Was geschieht mit einem Werk, dessen medialer Kern beseitigt wird? Was bleibt – wenn ein Teil der Sprache wegfällt – von einem Buch übrig als die blosse histoire und ist das dann noch Literatur?

Ganz nebenbei werden an dieser Lesung also zentrale literaturtheoretische Dinge thematisiert, wenn auch nicht immer freiwillig. So bekommt Moderator Benjamin Schlüer nach anfänglichen biografischen Tatsachenbezügen zu Monika Helfer grad noch die Kurve und abstrahiert doch noch zwischen Autorenrealität und Fiktion. Abseits von blossem Bestätigen eigener Thesen zum Text gelingt es ihm zusehends, ein Gespräch über die sich unweigerlich aufdrängenden Fragen nach dem Wesen des Erzählens aufzubauen. Dabei versucht er von Helfer zu erfahren, wie sie aus Erzählen und Erzähltem Fiktion baut und trifft den springenden Punkt. Hier hätte ich dem Gespräch der beiden gerne länger zugehört.

Die 16. Ausgabe literaare ist mit musikalischer Untermalung durch die Vibrafonistin Sonja Huber in literaturtheoretischer Hinsicht schwergewichtig ins Wochenende gestartet und verspricht weitere sprachliche Wohlklänge im Stundentakt. Kommet und staunet.