Gallus oder Die Literatur ist ihm heilig – eine Laudatio

Die Freude darob, Gallus Freis Name im Programm der diesjährigen literaare zu entdecken, ist gross. Sein Schaffen – wohl im Zuge einer Thurgauer-Connection mit Tabea Steiner – hat mittlerweile das Berner Oberland erreicht. Und das mag man ihm so richtig gönnen.

Zumindest in der Ostschweiz ist Gallus Frei-Tomic längst eine fixe Grösse der Literaturszene. Mit unermüdlichem Einsatz und einer seine Arbeit durchdringenden Liebe zur Literatur gründet er fortlaufend neue Veranstaltungs-Gefässe und bekleidet zahlreiche Literaturvermittlungs-Mandate. Zuletzt übernahm er von Marianne Sax die Programmleitung des renommierten Literaturhauses Thurgau «Bodmanhaus». Im Unterschied zu vielen anderen Kulturschaffenden im Thurgau suhlt sich Gallus Frei aber nicht ausschliesslich im eigenen Tümpel, sondern besucht rege fremdkuratierte Lesungen und zeigt mit seiner Präsenz die Leidenschaft zur Sparte. Durch die Vermittlungsbemühungen und sein Interesse an Autor:innen und ihren Texten hat er sich in den vergangenen Jahren ein ausgezeichnetes Netzwerk aufgebaut. Dies ermöglicht ihm beispielsweise das Konzept «Gegenzauber», wo namhafte Schreiber:innen eigens für seinen Blog Texte verfassen oder die grandiose Idee von «Literatur am Tisch». Das kleine Publikum sitzt zusammen mit der Autor:in bei Gallus und seiner Frau Irmgard an einem Tisch und palavert ungezwungen zu Käse und Wein über das Werk. Kann man sich etwas Schöneres vorstellen?

Das erwähnte Engagement zeigt nur einen Ausschnitt aus Freis schillernder Literaturwelt. Und so darf die Ausstellung in Thun also ruhig – ganz seiner Art entsprechend – als Understatement betrachtet werden. Einem Soldatenfriedhof gleich liegen die gerahmten Ausgaben der Literaturblätter in der Eingangshalle des Thuner Rathauses. Ein rührendes Bild. 54 Stück hat er angefertigt. Sie umfassen genau ein Blatt, sind alle handgeschrieben und typografisch den jeweiligen Buchcovern angepasst. Mit diesem Konzept bietet er den Leser:innen seit rund zwölf Jahren genau das, was sie wirklich brauchen: eine ausgezeichnete Titelauswahl und eine reizvolle, pointierte Besprechung ohne viel Schnickschack und elitäre Ergüsse. Die Leserschaft vertraut auf seine Erfahrung, auf sein sicheres Gespür.

Mehr ist von Freis Arbeit für die Thuner:innen nicht zu erfahren. Doch verleiten die wunderschönen Hand- und Kopfarbeiten hoffentlich die eine oder den anderen dazu, aufmerksam hinzuhören, falls künftig der Thurgauer Gallus ihren Weg kreuzen würde.  

Des Pudels Kern

Pandemische Zeiten sind erbarmungslos für Autor:innen und ihre Neuerscheinungen. Nicht nur die Lesungen fallen flach, auch die zauberhaften, frischgedruckten, in verlockende Umschläge eingehüllten Bücher liegen einsam und verlassen in den geschlossenen Buchhandlungen. Kaum beachtet werden nun viele von ihnen in die hinteren Reihen gerückt, denn der Berg an Neuem verdrängt die Perlen des letzten Jahres. Nicht so geschehen bei Monika Helfer. Mit grandiosem Erfolg ihres Werks «Die Bagage» hat sie sich vor gut einem Jahr von den Bestseller-Listen in den Lockdown verabschiedet, kurz darauf den Solothurner Literaturpreis mit in den Sommer genommen und bereits zu Beginn dieses Jahres mit «Vati» nachgedoppelt. Und kaum dürfen wir uns wieder zu Veranstaltungen versammeln, sitzt sie an der Eröffnungslesung der «literaare» bereit und liest. Und wie!

In zünftigem Tempo und einem entzückenden Hauch Nonchalance zurrt sie ihre Wörter zu einem Syntagma zusammen und lullt die Sinne der Zuhörer:innen ein. Wahrlich ein Genuss. Sie dynamisiert ihren Sprachfluss derart, dass zwischenzeitlich die Übersetzerin in Gebärdensprache um Tempodrosselung fleht. «Wie gelingt wohl die Übersetzung eines solchen Texts in Gestik und Mimik?», frage ich mich die ganze Zeit. Was geschieht mit einem Werk, dessen medialer Kern beseitigt wird? Was bleibt – wenn ein Teil der Sprache wegfällt – von einem Buch übrig als die blosse histoire und ist das dann noch Literatur?

Ganz nebenbei werden an dieser Lesung also zentrale literaturtheoretische Dinge thematisiert, wenn auch nicht immer freiwillig. So bekommt Moderator Benjamin Schlüer nach anfänglichen biografischen Tatsachenbezügen zu Monika Helfer grad noch die Kurve und abstrahiert doch noch zwischen Autorenrealität und Fiktion. Abseits von blossem Bestätigen eigener Thesen zum Text gelingt es ihm zusehends, ein Gespräch über die sich unweigerlich aufdrängenden Fragen nach dem Wesen des Erzählens aufzubauen. Dabei versucht er von Helfer zu erfahren, wie sie aus Erzählen und Erzähltem Fiktion baut und trifft den springenden Punkt. Hier hätte ich dem Gespräch der beiden gerne länger zugehört.

Die 16. Ausgabe literaare ist mit musikalischer Untermalung durch die Vibrafonistin Sonja Huber in literaturtheoretischer Hinsicht schwergewichtig ins Wochenende gestartet und verspricht weitere sprachliche Wohlklänge im Stundentakt. Kommet und staunet.

Unser Team in Thun:
Katharina Alder

Katharina Alder studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes im Frühling 2010 nahm sie ihr früheres Studium an der Universität Zürich wieder auf und belegt dort momentan Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft im Master.

2014 gründete sie aus purem Idealismus ihre eigene Buchhandlung – den klappentext in Weinfelden – und organisiert regelmässig kulturelle Veranstaltungen, so beispielsweise die Reihe textkultur sowie die Weinfelder Buchtage und den Weinfelder Buchpreis.

Seit der Rückkehr in die Schweiz hat sie Theater gespielt, zahlreiche Lesungen gehalten, Live-Hörspiele aufgeführt und unter dem Label alles&nichts verschiedene Veranstaltungsgefässe gegründet und kuratiert. Mit 6 Jahren erhielt sie ihren ersten Geigenunterricht. Sie spielte mehrere Jahre im Kammerorchester Konstanz, bevor sie Mitgründerin des im Thurgau ansässigen Kammermusik-Ensembles camerata aperta wurde.

Katharina liebt Texte und Musik, Frank Zappa und guten Rotwein, den Regen, die Melancholie, sandige Haut in der Sommersonne, Christoph Marthaler-Stücke und Wechselbäder der Gefühle.