KW14

I would prefer not to

Walter Vogt

Ende März las Svenja Herrmann gemeinsam mit dem gefeierten mazedonischen Lyriker Nikola Madzirov im Zuger Theater im Burgbachkeller. Höchste Zeit für das Buchjahr, ein Versäumnis aus dem vergangenen Jahr aus dem Spiel zu nehmen und nicht allein Svenja Herrmanns 2017 nach langer Pause vorgelegten neuen Lyrikband zu würdigen, sondern auch einen Seitenblick auf ihre Poetik zu werfen.

Von Simon Härtner und Selina Widmer
3. April 2018

Ausschwärmen

Das Gedicht ohne Druckerschwärze heisst das einleitende Gedicht von Svenja Herrmanns 2010 erschienenem Lyrikband Ausschwärmen. Darin wird Dichtung auf die Spitze getrieben; die Sprache wird verdichtet, bis sie den Nullpunkt erreicht und schliesslich verschwindet: ein «Atmen in Weiß». Zeigt sich hier eine Ambiguität zwischen der Angst vor dem weissen Blatt und der Hoffnung, dadurch die höchste Form der Dichtung zu erreichen?

Am lyrischen Abend im Zuger Theater im Burgbachkeller verriet Herrmann im Gespräch mit Moderator Thomas Heimgartner, dass Bartlebys berühmte Replik «I would prefer not to» zu ihren literarischen Lieblingszitaten gehört. Spiegelt sich darin eine ähnliche Ambiguität wie die oben beschriebene? Worin liegt denn noch der Unterschied zwischen einem weissen Blatt, hinter dem jemand steht, der lieber nicht wollte, und einem weissen Blatt, hinter dem jemand steht, der damit alles auszudrücken vermag? Im Zwischenraum von Rückzug und Flucht nach vorne entschied sich Herrmann glücklicherweise für letztere. Immer weiter verdichten schien ihr nicht der richtige Weg zu sein, denn verstummen will sie auf keinen Fall. Sie entschied sich für das Gegenteil von Verdichten: Sie will ausschwärmen. Das freilich ohne jede invasive Absicht, der leise Unterton von «I would prefer not to» schwingt immer mit. Es ist ein feines Beobachten der Umwelt, das sich auch in Herrmanns unaufdringlicher Stimme beim Lesen der Gedichte wiederfindet.

Ankommen

Sieben Jahre nach Ausschwärmen ist unlängst mit Die Ankunft der Bäume der zweite Gedichtband der in Zürich wohnhaften Lyrikerin erschienen. Bäume, die ankommen – aber wo?

Ein sich wiederholendes Thema des Gedichtbandes ist das Verhältnis von Natur und Zivilisation, das sich bis in die Semantik zieht: «Blechraupe», ein Kompositum aus Technik und Natur. Dabei wird weder Natur romantisiert noch Technik verteufelt. Die Ambiguität wird stehen gelassen und die Möglichkeit einer gegenseitigen Annäherung wie der Entfernung ebenso. Der immer wieder prägnant einsetzende Rhythmus in den Gedichten erinnert an das Rattern der Technik und steht im Kontrast zu weicher rhythmisierten Passagen, die sich wendig dazwischen ranken wie die Wurzeln eines Baumes.

Wie in der zunehmenden Technisierung verbirgt sich auch in der Sprache die potenzielle Gefahr einer zivilisatorischen Unterwerfung der Natur. Durch Benennung und Beschreibung der Dinge drückt man ihnen den menschlichen Stempel auf. Doch nicht bei Herrmann. Die Sehnsucht nach einer Omnipräsenz der Natur hält Einzug in ihre Lyrik: «Der Atem der Bücher» mimt das Rauschen der Bäume, ohne dass dabei das Gegensätzliche von unberührter Natur und menschlichem Eingriff überschattet würde. Mensch und Natur – ein Widerspruch und doch nicht?

Immer wieder führt Svenja Herrmann an diesem Abend mit ihren Gedichten an ferne Orte und schafft es, die dunkle Abgeschlossenheit des Theaterkellers zu durchbrechen. Wie sie das erreicht, teilte sie dem angetanen Publikum mit, denn auf die Frage nach ihrem dichterischen Vorgehen antwortete sie, dass sie sich an Orte begebe und diese auf sich wirken lasse. Die Aktivität geht zwar vom Ort aus, aber dennoch sei es am Ende sie, die an diesem Ort stehe. Wenn der Eindruck des Ortes besonders stark war, würdigt sie dessen Namen im Gedicht. Manche Orte bräuchten aber auch nicht genannt zu werden, fügt sie mit einem Lächeln hinzu.

Einlassen

Ihr eigener Lyrikkonsum gleicht diesem Vorgehen: Svenja Herrmann vergleicht ihn mit einem Sich-Umgeben mit Lyrik, womit abermals die räumliche Komponente in den Vordergrund rückt. Wie sie schreibt, konsumiert sie auch am liebsten selbst Gedichte. Bei allen Versuchen, darüber zu sprechen, bleibt für Svenja Herrmann allerdings sowohl das Schreiben wie auch das Lesen von Gedichten zuletzt eine sehr subjektive Tätigkeit. Mit Hilde Domin reklamiert sie, dass es Mut zum Schreiben brauche. Man müsse sich die Anrufbarkeit der Leserinnen und Leser stets vor Augen führen, ohne diese wirklich vor Augen zu haben. Ebenso sei das Lesen ein Sich-Einlassen auf das Geschriebene – eine Begegnung mit einer poetischen Erfahrung, mit der man sich verbinden kann, wenn man möchte.

Svenja Herrmann: Die Ankunft der Bäume. 80 Seiten. Zürich: Wolfbach Verlag 2017, ca. 22 CHF.

Zum Verlag