Kulturschaffen – «und, schaffsch es?»

«Morgenturnen unter dem Kronleuchter» nannte Sarah Elena Müller ihren Spoken Word Auftritt im neoklassischen Festsaal des Hotels La Couronne. Trotz der frühen Morgenstunde war jeder Platz besetzt und das durchmischte Publikum von Minute eins an wach. Sarah Elena Müller hat mit ihrer Performance der Texte aus ihrem akutellen Buch Culturestress. Endziit isch immer scho inbegriffe die Fassade des prunkvollen Saals zum Bröckeln gebracht.

Culturestress. Endziit isch immer scho inbegriffe setzt sich auch verschiedenen kurzen Texten zusammen, die ursprünglich als Zeitungskolumnen in Der Bund veröffentlicht wurden. Mit kritischem, dunkel gefärbtem Blick werden Alltagsszenen erzählt, die auf kurzweilige, aber ernsthafte Art zugleich Ambivalenzen in den gesellschafltichen Strukuren entlarven. Mit dem Titel Culturstress referiert Müller auf die Erzähltechnik des stream of consciousness (Bewusstseinsstrom), mit der sie regionale und globale Ereignisse perspektiviert.

Dass Sarah Elena Müller als Kunstschaffende nicht nur im literarischen Bereich, sondern auch interdisziplinär mit Musik, Virtual Reality, Hörspiel und Theater arbeitet, spiegelt sich auch im Umgang mit den Texten. Die ausgewählten Texte wurden nicht nur vorgelesen, sondern mit elektornischen Beats, Gesang, Stimmenverzerrer und Körpereinsatz performt. Durch die Präsenz und Überlagerung der verschiedenen Medien auf der Bühne gewinnen die Texte eine bemerkenswerte Lebendigkeit, die Dynamik zieht das Publikum an den Abgrund der Endzeit. Mit langanhaltendem Applaus wird die herausfordernde Performance gewürdigt.

Sarah Elena Müller ist Gründungsmitglied des feministsichen Autorinnenkollektivs RAUF. Nächstes Jahr erscheint ihr erster Roman Die verlorene Tochter. Er handelt von «einem interfamiliären Drama, das kollektiv verdrängt wird» und man darf gespannt sein, was sie aus dieser Erzählgattung herausholt. Danach könne man sie jedenfalls nicht mehr als «witzig und frech» abtun.

In einem der aufgeführten Texte versucht die Enkelin der Grossmutter zu erklären, was «Kunstschaffen» heisst. Darauf fragt die Grossmutter: «Und, schaffsch es?» Die Enkelin nickt – und das Publikum ebenfalls. Sarah Elena hat den Weltuntergang besungen und gezeigt, was man bis dahin alles noch machen kann. Der Besuch ihrer Performance gehört definitiv dazu – daher hätte es sich auch gelohnt, ihren Auftritt von 10 Uhr morgens auf die Primetime zu verlegen.

Ein Beitrag von Lara Buchli & Rahel Staubli