Wie wird ein Buch?

Unter dieser Leitfrage finden Simone Lappert und Zsuzsanna Gahse an den 42. Solothurner Literaturtagen zusammen, sprechen über ihre Texte «Der Sprung» und «Schon bald» und darüber, wie sie als Autorinnen Dinge sammeln, selektionieren und ordnen.

Die Autorinnen schweifen nicht in metaphysische Spekulationen ab, obwohl der eher bemüht abstrakt klingende Veranstaltungstitel «Zur Zusammengehörigkeit der Dinge» anderes vermuten liesse. Stattdessen bleiben Lappert und Gahse angenehm konkret. Sie unterhalten sich, moderiert von Stefan Humbel, unter anderem über ihren persönlichen Schreibprozess. Obwohl das Webcamformat in diesem Gespräch ausbleibt, erhalten die Zuhörer*innen Einblick in die Arbeitszimmer der Autorinnen. Zsuzsanna Gahse erzählt von ihren grossen und kleinen Schreibtischen und ihrem Stehpult. Das Schreiben geschieht gerne mal im Bett und die Auslegeordnung findet auf dem Boden statt.

Darüber hinaus sprechen die Autorinnen vom Ordnen im Text. Besonders die Figuren bieten dabei Orientierungshilfe. In «Der Sprung» ist es eine Menschenmenge, die zum Handlungsträger wird. Lappert verfolgt die Vielzahl an Lebensgeschichten, erforscht die divergierenden Sichtweisen und konfrontiert sich mit düsteren Erfahrungswelten. Zsuzsanna Gahse überschreitet Grenzen im medialen Sinn. Sie verbindet Dichtung, Prosa und Essay, vergibt die Handlungsmacht an Dinge und Räume.

Die Frauen sprechen auch von dem, was sich der Ordnung entzieht. Für Lappert heisst das, der Figur nicht Worte in den Mund zu legen, sondern diese selbst zu Wort kommen lassen. Es geht darum, die Figur soweit kennenzulernen, dass ihre Worte die der Autorin werden und gleichzeitig die Distanz zu wahren, damit die Autorin die Figur nicht inkorporiert und ihren Ausdruck behauptet, anstatt erzählt. Die Figuren dürfen nicht zu Marionetten werden – auch nicht dann, wenn es darum geht, eine Erzählung zu strukturieren. Entweder die Dinge fügen sich, docken aneinander an oder sie tun es nicht. Und was nicht zusammengehört, bleibt übrig, wird in einer Schublade verstaut und kann, fügt Gahse an, Jahre später an einem anderen Ort wieder auftreten.

Dann ein plot twist: Für einmal lesen die Autorinnen nicht aus ihren eigenen Büchern, sondern haben sich eine Passage aus der Arbeit ihrer Gesprächspartnerin ausgesucht. Lappert erzählt, dass sie ohnehin stark mit den Ohren schreibt. Sie liest sich den Text selbst laut vor beim Schreiben. Der Klang der Worte sei für sie Inhaltsträger. Denn damit der Text einen Körper erhält, muss er in den Raum – ins Dreidimensionale – geholt werden, erklärt sie. Es gehe darum, den eigenen Text zu prüfen; sie muss ihn hören, um zu wissen, ob sie ihm glauben kann.

Zsuzsanna Gahse wiederum verweist auf das Dialogische des Schreibprozesses und die Wichtigkeit der Aussensicht. «Das Vortragen ist fundamentaler Bestandteil des Schreibens», hallt es aus unseren Computerlautsprechern. Einmal mehr wird die Bedeutung des Zwischenmenschlichen im scheinbar isolierten Prozess des Schreibens deutlich. Schreiben, ergänzt Simone Lappert, sei für sie sowieso immer eine Begegnung – und wenn sie merkt, dass sie die Reaktion ihrer Figur nicht bis zu jedem Mass beeinflussen kann, dann weiss sie, dass ihr Buch auf gutem Wege ist.

Judith Rehmann und Sarah Rageth