Vom Stampfen und Schwingen

Schreibblockaden wären hier ungünstig: Autor*innen sollen innert zwanzig Minuten einen Kurztext verfassen. Inspiration dafür liefern Begriffe, die vom Publikum vorgeschlagen und nach Zufallsprinzip gewählt werden. Ein bunter Abend, moderiert von Katja Alves und Boni Koller.

Wer schreibt? Flurina Badel wird als erste vorgestellt. Sie gewann soeben den Schweizer Literaturpreis für ihren Gedichtband tinnitus tropic. Heute wolle sie einen Limmerick schreiben – müsse aber zuerst noch Google fragen, was das eigentlich sei, antwortet Badel abenteuerlustig auf Katja Alves’ Frage, wie sie heute Abend vorgehen wolle.

Giuliano Musios zweiter Roman Wirbellos wurde 2019 publiziert und heute Abend, sagt Musio, werde er bestimmt kein Gedicht schreiben. Die dritte im Bunde ist Romana Ganzoni. Sie hat jüngst den Bündner Literaturpreis gewonnen, ihr aktuellstes Buch erschien ebenfalls 2019 unter dem Titel Tod in Genua. Es käme ziemlich auf die Begriffe an, gesteht sie, ob das mit dem Instantdichten gut komme. Sie wirkt der Herausforderung jedoch gewachsen und blickt zuversichtlich und konzentriert über die Webcam ihres Computers in die Augen des Publikums.

Auch Demian Lienhard hat 2020 den Schweizer Literaturpreis für sein Debüt Ich bin die, vor der meine Mutter gewarnt hat erhalten. Worüber er nicht schreiben wolle? Das könne er so nicht sagen – aber am liebsten würde er über diesen Plastikhummer schreiben, der so prominent auf dem Moderationstisch liege.

Sein Wunsch wird jedoch nicht erfüllt. Im Anschluss an die Vorstellungsrunde, wird das Publikum nach Begriffen befragt, die die Fantasie dieser vier Köpfe anregen soll. Zuerst eine handwerkliche Tätigkeit: Weinstampfen – das passt, denn diese Tätigkeit ist genügend weit vom Schreibhandwerk entfernt; man stampft ja mit den Füssen und schreibt mit den Händen. Dann wird eine politische Person gewählt: Richard Nixon. Warum auch nicht? Als dritter Inspirationsbegriff soll der Name eines Preises dienen. Die Wahl fällt auf «Schwingerkönigin»; somit wäre auch ein Bezug zur Schweiz hergestellt. Dann heisst es Achtung, fertig los! – und Flurina Badel, Romana Ganzoni, Demian Lienhard und Giuliano Musio hauen in die Tasten.

Während die vier Autor*innen einen Text schmieden, wird das Publikum von Katja Alves und Boni Koller unterhalten. Man spielt ein Quiz mit Fragen rund um den Literaturbetrieb. Die Zeit vergeht rasch; für das Publikum aber insbesondere für die Autor*innen.

Zuerst liest Giuliano Musio vor. Tatsächlich hat er kein Gedicht geschrieben, sondern eine Kurzgeschichte darüber, wie Adriano Celentano versehentlich Weinstampfen erfindet und über ein Musikvideo populär macht. Diese neuartige Weinproduktionsweise bringt weitläufige Konsequenzen mit sich: Beeinträchtigung des Verständnisses, erhöhte Aggression – und in der Schweiz das Schwingfest.

Demian Lienhard schliesst an. Die Geschichte beginnt mit dem Rücktritt von Richard Nixon; das Jahr, in dem die Mutter von Lienhards Protagonistin beschliesst, dass ihr ungeborenes – zu diesem Zeitpunkt sogar noch gar nicht gezeugtes – Kind Schwingerkönigin werden soll. Der Vater wird dann beim Weinstampfen kennengelernt, neun Monate später beginnt das Schwingtraining. Und siehe da: Die Protagonistin wird Schwingerkönigin.

Romana Ganzonis Text trägt den Titel Der Spiesser und die Königin. Sie erzählt von einem Mann, dessen Füsse sein Heiligtum waren – deswegen war er auch Weinstampfer. Eine Dokumentation über Richard Nixon verändert jedoch alles und er verliebt sich im Mai 2020 in eine Schwingerkönigin.

Den Abschluss macht Flurina Badel. Ihre Protagonistin sitzt zusammen mit einem „knusprigen Herrn“, der aussieht wie Richard Nixon, in einer Bar. Dort wird das Schwingfest live auf dem Fernsehen übertragen. Sie trinkt zu viel Lokalwein und hat später in der Nacht einen Albtraum von scheppernden Knochen und weinstampfenden Skeletten.

Nach diesen fantasievollen Texten wird das Publikum in den Abend entlassen. Ein gelungener Abend – und die Kurzgeschichten haben neugierig auf das Werk dieser Autor*innen gemacht. Wer will und noch nicht hat, bestellt sich also am besten gleich literarischen Nachschub.

Judith Rehmann