«er hets gnoo ghaa» – über literarische Mundart.
Ein Gespräch mit Andreas Neeser

Göfichöpfli, Tschuderet, Tamisiech – Andreas Neeser: Was ist anders, wenn man auf Mundart schreibt?

Das Schreiben per se wird nicht stark beeinflusst. Ungeachtet in welcher Sprache geschrieben wird, ist es wichtig, dass der Plot konsistent ist und die erzählerische Dramaturgie stimmt. Grössere Unterschiede zeigen sich jedoch auf der der lexikalischen, syntaktischen und grammatikalischen Ebene. Wenn man das in der Mundart eher umständliche Plusquamperfekt «er hets gnoo ghaa» wegdenkt, dann stehen uns lediglich zwei Zeiten, nämlich das Präsens und Perfekt, zur Verfügung, was, wenn man an Geschichten mit komplexer erzählerischer Chronologie (etwa mit Analepsen) denkt, eine grosse Herausforderung ist. Die grösste Challenge, aber auch die grösste Freude, sehe ich darin, dass das literarische Erzählen immer der Mündlichkeit der Mundart entsprechen muss.

Hätte Alpefisch die gleiche Wirkung, wenn die Erzählung auf Hochdeutsch erschienen wäre?

Nein, davon bin ich sehr überzeugt. Aber das trifft nicht nur auf meinen Roman, sondern auf die Mundart generell zu. Viele Redewandungen und Ausdrücke liessen sich nicht eins zu eins ins Hochdeutsche übersetzen ohne an Wirkung zu verlieren. Darin steckt schlussendlich auch die Faszination, wenn man auf Mundart schreibt. Man denke an Ausdrücke wie «obsi choo» – um dasselbe auf Hochdeutsch auszudrücken, benötigte man mehrere Sätze, während man in der Mundart genau ein Wort dafür verwendet. Darin sehe ich sowohl einen inhaltlichen, wie auch einen sprachlichen Reichtum. Ich denke, dass die Mundart häufig zu unrecht belächelt wird.

In der Fragerunde nach Ihrer Lesung kritisierte eine Frau, dass in ihrem Roman Alpefisch altertümliches Vokabular verwendet wird. Wie stehen Sie zum Sprachwandel in der Mundart?

Mein Anspruch war nie, den Archivar der Mundart zu spielen. Vielmehr bin ich der Meinung, dass die Sprache etwas Lebendiges ist, das sich im Laufe der Zeit verändern soll und darf. Ich verstehe nicht, weshalb man Veränderungen in einer Sprache bedauern soll. Wieso sollten Anglizismen die deutsche Sprache zerstören? Man muss bedenken, dass das Vokabular der Mundart sehr ländlich geprägt ist, weil sich die Bevölkerung früher wesentlich aus Bauern zusammensetze und technische Berufe weitgehend fehlten. Die neueren technischen Errungenschaften sind nunmal grösstenteils englisch benannt und – Hand aufs Herz: Welches Kind denkt, dass «Computer» kein Mundartwort ist? Seitdem ich auf Mundart publiziere, fällt mir übrigens vermehrt auf, wie viel Emotion in der Mundart steckt. Eine Emotion, die sogar so weit führt, dass ich Mails erhalte, in welchen sich Personen darüber aufregen, dass in einer Erzählung ein Wort mit einem /t/ anstatt mit einem /d/ geschrieben wird. Wäre die Erzählung hingegen auf Hochdeutsch geschrieben, wäre der Fall klar: ein Buchstabe in einem ganzen Roman – who cares! Es ist faszinierend, wie sehr sich die Menschen trotz teils modernisiertem Vorkabular mit ihrer Mundart identifizieren.

Im Hochdeutschen gibt es klare Regeln, wie geschrieben werden muss. In der Mundart sieht das anders aus. Sie schreiben «ggange» mit zwei /g/, «gross» aber nur mit einem /g/ – weshalb?

Obwohl man Mundart im Grunde so schreiben kann, wie man möchte, ist es wichtig, dass man ein konsistentes System entwickelt und beibehält. Mit Blick auf «ggange» und «gross» ist es nun mal so, dass es sich um zwei verschiedene Laute handelt. Bei solchen Angelegenheiten gilt es eine Lösung zu finden, die sinnvoll ist. Den starken Konsonanten im Anlaut markiere ich deshalb mit der Verdoppelung. Bei «schlooffe» und «Goofe» müsste ich die unterschiedliche Lautung des /o/ mit einem Akzent markieren. Das tue ich nicht, weil es mir zu akademisch erscheint. Aber nur schon, dass wir uns beim Verschriftlichen der Mundart mit solchen Problemen konfrontiert sehen, zeigt, dass man sehr schnell an ein Limit gerät.

An einer Stelle im Roman sagt Brunner: «Er het a Gschichte tänkt us em Kino, Sache, wos nid git.» – Vermag die Literatur etwas zu zeigen, das den «Sachen aus dem Kino» verwehrt bleibt?

Ich denke, dass die Literatur und das Kino das Gleiche im Sinn haben, denn beide machen das Angebot durch eine offene Türe in eine neue Welt einzutreten, in der man sich frei bewegen und nach einer gewissen Zeit wieder austreten kann. Schlussendlich sind es der Aufenthalt respektive der Austritt in und aus diesem illusionären Raum, die gutes Kino von Kino und gute Literatur von Literatur unterscheiden. Sowohl ein guter Film als auch eine gute Erzählung sollen eine Auseinandersetzung bei den Rezipient*innen auslösen, sie auf sich selbst zurückwerfen und ihnen Fragen mit auf den Weg geben.

Aber auch die Frage nach der Fiktionalisierung scheint mir in diesem Kontext wichtig zu sein, man behauptet ja häufig, dass Literatur alles könne. Theoretisch, vielleicht. In Wahrheit aber kann Literatur zum Teil nicht einmal so viel wie das echte Leben. Denn im echten Leben geschehen nicht selten unglaubliche Dinge, die man der Literatur nicht abnehmen würde.

«Als junge Schnuufer sett me keni Büecher schriibe.» Wie viel Wahrheit steckt in diesem Satz?

Sehr viel! Als junger Schnuufer möchte man die ganze Welt, alles, was man ist, und alle Überzeugungen in ein und denselben Text packen. – Das kann funktionieren. Tut es aber selten.

Das Gespräch führte Okan Yilmaz.