Die Odyssee der O. oder von der Vergeblichkeit anzukommen

Schon Tabea Steiners einleitende Worte zu Scholls Roman tauchen den hellen Saal des Rathauses in eine nachdenkliche Stimmung. Hierher, unter die Kronleuchter-ähnlichen Lampen (auch O-förmig) und auf die gepolsterten Holzstühle passt das Wort «privilegiert» vielleicht besonders gut.

So auch zur Protagonistin O. im gleichnamigen Roman. Denn im Gegensatz zu den Frauen, die sie auf ihrer Irrfahrt aus den Wogen rettet, trägt sie ihren Pass und die Kreditkarte ihrer Mutter stets bei sich. Ist es also ein Reisebericht oder eine Fluchtgeschichte? Eigentlich keines von beiden. Wer würde auch die Odyssee der einen oder anderen dieser Kategorien zuordnen wollen? Diesen Anspruch erhebt der Text auch für sich, er will ein Epos darstellen, aber in seiner Form doch lieber frei bleiben. Die griechische, oft sehr männlich orientierte Mythologie dient der Erzählung als Folie, in die Scholl ihre weiblichen Figuren einsetzt. An Stelle der Männer sind es nun die Frauen, die eine Stimme haben, die von ihrer Vertreibung, Flucht und unterschiedlichen Erlebnissen sprechen. Auf epische Weise stranden die Figuren auf einer Plastikinsel, begegnen aber auch den mythologischen Frauengestalten Calypso, Athene und Kirke. «Sie sehen, es ist ein unheimliches, wunderliches Buch» – und damit kann die erste Lesung beginnen.

Das Vorlesen erst lässt die Form des Epos klingend erscheinen. Nebst kurzgehaltenen finden sich immer wieder lange, metrische Sätze, die vor allem bei Beschreibungen gut zur Geltung kommen. Durch Alliterationen und Assonanzen wie beispielsweise «die Schar riesiger schwarzgrauer Schweine» trägt die Stimme den Text und verdeutlicht das Metrum, das ans klassische Epos erinnert. Im Kontrast dazu stehen die Dialoge zwischen den Figuren, die einander eher kausal und umgangssprachlich begegnen; und so plaudert O. mit Kirke ganz entspannt darüber, wann sie sich das letzte Mal verliebt hat, während ihre Schiffbrüchigen auf der Insel zum Arbeiten unter schlechten Bedingungen gezwungen werden.

Daher ist die Frage im anschliessenden Gespräch auch gerechtfertigt: Ist O. eine Heldin? O.s Egoismus, der ihr Heldenbild erheblich stört, führt dann auch schon zum Machtdiskurs. Der Roman ist ein Versuch zu erzählen, was passiert, wenn Frauen in die Machtposition rücken. Das positive Bild, das oft vom Matriarchat gegenüber dem Patriarchat gezeichnet wird, wird hier vergeblich gesucht: Auch die weibliche Führungsperson verfällt dem Egoismus und dem Vergessen der anderen. Diese anderen kann die Autorin dank Recherchen und Gesprächen aber trotzdem gut abbilden. Dies zeigt sich auch im zweiten Leseblock, in dem der Fokus auf der Ausbeutung der gestrandeten Frauen liegt und ihnen in ihrem Leid trotzdem Stimmen verleiht, mit der sie sich auch gegenseitig Mut machen. Scholl liest auch ein Stück vom Ende vor. Denn letztlich endet O.s Reise dort, wo sie begonnen hat, und sie bleibt die einzige der Irrfahrerinnen, die ohne Probleme dort aufgenommen wird. Die anderen Figuren scheitern am Mangel an Privilegien und deutschen Komposita, die auch das Publikum peinlich berührt zum Schmunzeln bringen. Die Vergeblichkeit, so Scholl, sei schon tief in der Bedeutung der Odyssee vorhanden. Der Stoff deute auf die Vergeblichkeit, anzukommen – und da wäre man wieder beim Kreis. Bei O. eben.

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