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Künstlerinnen sichtbar machen?

Das Literaturhaus Strauhof zeigt in seiner Ausstellung «Denn wenn Chloe Olivia mag ...» eine Sammlung von Selbstporträts und Texten von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen, die an der SAFFA 1928 beteiligt waren. Ein zentrales Thema ist die sichtbare Unsichtbarkeit von Frauen, die kritisch hinterfragt – aber eben auch nachgebildet wird.

Von Sabine Ribaudo-Maurer
8. August 2022

Wenige Schritte von Zürichs Bahnhofstrasse liegt das Literaturhaus Strauhof, etwas verborgen und beherbergt die Ausstellung «Denn wenn Chloe Olivia mag…». Diese möchte historische Schweizer Künstlerinnen sichtbar machen, ihnen und den Schwierigkeiten, auf die schreibende und malende Frauen treffen, Raum geben. «Frau» sollte in der Kunst zwar keine eigene Kategorie darstellen, trotzdem braucht es nach wie vor Anstrengungen, um die Kunst der verschiedenen Geschlechter* gleichwertig zu zeigen.

SAFFA – Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit

1928 bot die schweizerische Frauenausstellung – kurz SAFFA genannt – Künstlerinnen Räume und damit eine Plattform, die ihnen im Alltag oft verwehrt wurde. Hier kommt der Essay von Virginia Woolf ins Spiel A room of one’s one, aus dem die Zeile für den Titel der Ausstellung «Denn wenn Chloe Olivia mag…» stammt. Woolf fragt sich, was in der bildenden Kunst und in der Literatur geschehen würde, wenn Frauen (einen) Raum für sich und etwas Geld hätten.

Foto: Komitee der SAFFA 1928 | © Schweizerisches Sozialarchiv, F Fb-0002-28 (Urheber: Fotostudio Carl Jost)

Diese Frage wird von den beiden Kuratorinnen Marlin Brun und Mara Züst aufgenommen und durch weitere Fragen ergänzt, wie etwa: Für wen sind die Räume in der Kunst geschaffen, wer stellt in ihnen aus? Wer veröffentlicht und wer wird überhaupt zu Kunst- und Schreibausbildungen zugelassen? Zu diesen Fragen gestalteten sie die Räume des Strauhofs mit Farbtafeln, Buchseiten, Stoffmustern und Archivalien, welche den Zugang zu Künstlerinnen und Schriftstellerinnen ermöglichen.

Im Schatten der Ausstellung

Betritt man den ersten Stock des barocken Bürgerhauses mit seinem knarrenden Riemenparkett, empfangen einen hunderte von Künstlerinnen. Die Wände des Flurs sind mit den Namen der bildenden Künstlerinnen beschriftet, die in den Publikationen der SAFFA aufgelistet waren. Orange Zettel mit Fragen, die mit «Wie zeigen wir…» beginnen, stören den freien Blick.

 

Fotos: © Zeljko Gataric

Wie werden Künstlerinnen und Schriftstellerinnen sichtbar, deren Kunst als trivial bewertet und darum im Fall der Literatur auch trotz früherer grosser Auflagen nicht wieder veröffentlicht wurden? Wo finden sich Künstlerinnen und Schriftstellerinnen, die aufgrund ihrer Herkunft, Religionszugehörigkeit oder politischen Ansichten nicht an der SAFFA ausstellen konnten? Wie findet man Werke von Frauen, die unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht haben oder ihren Namen nach der Heirat gewechselt haben? Die Fragen regen zum Nach- und Weiterdenken an.

Leben und Wirken von Künstlerinnen in den Zwanzigern

Ein Raum ist der SAFFA im erweiterten Sinn gewidmet. Die späten 1920er Jahre sind Zeiten des Aufbruchs. Neue Möglichkeiten von Lebensentwürfe werden erprobt und sichtbar gemacht. Chloe liebt Olivia auch für die Öffentlichkeit sichtbar. Frauen nehmen sich selbstbewusst mehr Raum. Frauenausstellungen zeigen und dokumentieren international und auch in der Schweiz das Leben und Wirken von Frauen. Die Kunsthistorikerin Doris Wild schreibt damals Texte im Rahmen der SAFFA, die den Anstoss zu einer ersten Schweizer (feministischen) Kunst- und Literaturgeschichte geben.

Ein weiterer Raum ist bis auf drei Stühle leer. Diese laden zum Sitzen und Zuhören ein. Aus einem Lautsprecher perlen und knistern Hörstücke zu fünf Themenbereichen im Zusammenhang mit dem Künstlerinnenleben. Frauen aus verschiedenen Jahrhunderten kommen zu Wort und erzählen von teuren und schwer zugänglichen Ausbildungen, von Zeitmangel wegen Familienarbeit, von Bevormundung durch die Gesellschaft, von ihren Ansprüchen an die Kunst. Ein Arzt meinte um 1926 zur Autorin Ruth Waldstetter: «Sechs von sieben Männern sollten gefallen, sonst ist eine Frau überbildet. Und die Blutarmut verschwindet sicherlich, wird sie Ehefrau und Mutter.» Mit solchen und ähnlichen Aussagen sahen sich Künstlerinnen konfrontiert.

Künstlerinnen malen sich als Künstlerinnen

Über den Gang flimmern aus einem abgedunkelten Raum Portraits. Auf einer Leinwand erscheinen Frauenbilder, angeordnet in kleineren und grösseren Gruppen auf schwarzem Hintergrund. Die Selbstportraits stammen von Künstlerinnen, die in den Katalogen der SAFFA erwähnt werden.

   

Fotos: Installation von Marilin Brun und Mara Züst (v.l.n.r. mit den Künstlerinnen Julie Feurgard, gemalt von Louise Breslau, und Marguerite Frey-Surbek) | Installation von Marilin Brun und Mara Züst (v.l.n.r. mit den Künstlerinnen Violette Diserens, Alice Boner, Hannah Egger, gemalt von Helene Roth, und Madeleine Woog (© Mirjam Wirz)

Zum Teil erkennt man Malerinnen sofort an einer Staffelei oder an einer Farbpalette, an unfertigen Werken im Hintergrund. Oft malten sich die Frauen vor einem neutralen Hintergrund. Nie sieht man jedoch Familienmitglieder, Kinder oder Haushaltsgegenstände gemalt. Künstlerinnen bildeten sich als Künstlerinnen ab. Die Frauenbilder flimmern wiederkehrend über die Leinwand, seltsam namenlos und nicht kontextualisiert.

Zwischen Bildern und Namen

Den Zusammenhang stiften im Gang hängende Blätterstapel, auf denen die Portraits abgedruckt und am oberen Rand mit den Vornamen versehen sind. Unterhalb des Bildes finden sich auch der Familiennamen der Künstlerin, sowie der Titel und das Entstehungsjahr des Werkes. Nun bin ich hin und her gerissen, ob ich im hellen Gang stehend die Bilder auf der Leinwand anschaue und mir den Künstlerinnennamen auf der alphabetisch geordneten Übersicht zusammensuche, denn die Reihenfolge auf der Übersicht entspricht nicht der Abfolge der Projektionen oder ob ich mich in den verdunkelten Raum setze, die Bilder als Farbmomente vorüberziehen lasse und mangels Lichts auf die Zuordnung der Namen verzichte. Gleich ging es mir im Nebenraum mit den Hörstücken. Von wem ist das Zitat? Wer spricht da? Auf dem rosa Blatt sind die Zitatanfänge aufgeführt. Jedoch braucht es bei über vierzig Zitaten etwas Zeit, bis man aus dem Gehörten erschliesst, an welcher Stelle momentan gesprochen wird.

Mehr Sichtbarkeit!

Die Ausstellung möchte Künstlerinnen sichtbar machen, überlässt es jedoch den Besucher*innen, die Namen den Werken zuzuordnen, was nur mit erheblichem Aufwand möglich ist. Die Kuratorinnen gehen offenbar von einem sehr kunstaffinen Publikum mit viel Vorwissen aus. Verschwundene Frauen in Literatur und Kunst ist ein brennendes Thema, auch in der Literaturvermittlung. Wünschenswert wäre eine Übersichtstafel zu Virginia Woolf, projizierte Zeilen an der Wand zu den gesprochenen Zitaten, die Namen der Künstlerinnen mit den Portraits eingeblendet.  So würde die Ausstellung zugänglicher und könnte auch für Schulen interessant werden. Die Darstellung der Hörstücke im leeren Raum oder die leuchtenden Portraits im Dunkeln mag ästhetisch wirken, doch durch diese Umsetzung wird den Künstlerinnen einmal mehr ihren Namen und damit ihre Sichtbarkeit genommen.

Link zur Ausstellung

«Denn wenn Chloe Olivia Mag …» ist noch bis zum 4. September zu sehen.

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