KW31

«Es war befreiend, mal ganz alleine zu arbeiten.»

Am Rande der Solothurner Literaturtage trafen wir Ariane Koch zum Sommergespräch. Die Baslerin, deren Debüt «Die Aufdrängung» viel beachtet wurde, wirkt entspannt, als wäre ihr kürzlich eine Last von den Schultern gefallen. Vielleicht die Lesung im grössten Solothurner Saal, die sie gerade absolviert hat?

Von Redaktion
5. August 2022

Ariane, warst du nervös vor deiner Lesung?

Ja sehr, Ich habe noch nie in einem so grossen Saal gelesen. Es war richtig voll und somit konnte ich wirklich sehen, dass viele zuschauen, das hat mich schon sehr beeindruckt.

Was waren deine grössten Sorgen?

Ich habe immer etwas Angst davor, dass niemand reagiert. Ich bin es gewohnt, dass wenigstens ein paar Leute irgendwelche Reaktionen zeigen – lachen oder schnauben. Ich habe auch Angst, den Faden zu verlieren. Ich hatte schon Situationen in Gesprächen, wo ich während dem Reden die Frage vergessen hatte. Man hängt so im luftleeren Raum. Ein krasses Gefühl – spannend sogar –, aber schon beängstigend.

Wie wählst du jeweils die Abschnitte aus, die du lesen willst?

Also in erster Linie kommt es auf die Zeit an, die mir zur Verfügung gestellt wird. Und dann versuche ich immer, eine gewisse Dramaturgie einzubauen. Ich lese ja auch nicht immer chronologisch, manchmal blättere ich zurück. Manchmal passe ich es auch an den Ort an. Und ich hatte nun doch schon einige Lesungen, da habe ich auch gemerkt, dass sich einige Teile besser eignen als andere. Teile, die performativ oder rhythmisch sind.

Zur Autorin

Ariane Koch, geb. 1988 in Basel, Studium der Bildenden Kunst und Interdisziplinarität. Sie schreibt Theater- und Performancetexte, Hörspiele und Prosa. Kochs Stücke und Performances wurden auf internationalen Bühnen gespielt und ausgezeichnet. Ihr Romandebüt «Die Aufdrängung» (2021) wurde mit dem aspekte-Literaturpreis 2021 und dem Schweizer Literaturpreis 2022 ausgezeichnet.
Foto: © Heike Steinweg

Dein Roman Die Aufdrängung wurde mit einem Schweizer Literaturpreis und mit dem aspekte-Buchpreis ausgezeichnet, was bedeuten Ihnen solche Auszeichnungen?

Finde ich mega cool! Das ist eine grosse Anerkennung, die unerwartet war. Solche Preise sind für mich als Debütantin keine Selbstverständlichkeit. Obwohl ich mit dem Wort «Debütantin» vorsichtig umgehe, ich habe ja bis jetzt schon viel gemacht – wie ich finde – einfach in den Bereichen Theater und Performance. Aber in der Literaturwelt kannte man mich nicht, ich kann mich also was die Aufmerksamkeit und die Kritiken angeht nicht beklagen.

Das Thema Gastlichkeit ist sehr zentral in deinem Roman. Woher kommt das Interesse daran?

Es gab eine Zeit, wo ich häufig zu Gast war bei Freunden, da ich viel reiste. Und dieser Umstand, dieses «Gast-Sein», veränderte so viel. Mir fiel auf, dass man über dieses Thema viel mehr nachdenken sollte. Als ich anfing zu schreiben war auch gerade die so genannte Flüchtlingskrise 2015 aktuell. Es ist ein Thema, das in so viele verschiedene Bedeutungsräume hineinreicht.

Wo besteht der Zusammenhang zwischen Thema Gastlichkeit und dem Titel Die Aufdrängung?

Ich wusste von Anfang an, dass ich eine Geschichte über einen Gast erzählen will, der nicht mehr geht. Und so kam ich dann ziemlich schnell zum Titel Die Aufdrängung. Ursprünglich hatte ich tatsächlich die Idee, dass die Aufdrängung ganz klar vom Gast aus geht. Ich habe dann im Verlauf des Schreibens jedoch gemerkt, dass die Aufdrängung hauptsächlich von Seiten der Gastgeberin kommt.

In deinen Erlebnissen als Gast, wer war aufdringlicher, der Gast oder der Gastgeber?

Ich hatte immer das Gefühl aufdringlich zu sein, allein durch meine Anwesenheit. Die reine Anwesenheit kann so viel auslösen, es treffen zwei unterschiedliche Lebensweisen aufeinander. Das weiss jeder, der irgendwann schon mal mit jemandem zusammengewohnt hat. Man kriegt viel voneinander mit, da herrscht viel Störungspotential.

Du kommst vom Theater, welche Aspekte von deiner Tätigkeit als Theaterschaffende haben Einfluss auf diesen Roman genommen?

Ich habe wahrscheinlich ein anderes Verständnis von Raum und Zeit. Ich schreibe ausserdem eher themenbezogen anstatt handlungsbezogen, was man im Theater – oder zumindest in der freien Szene – eher macht. Ich denke, der Roman ist auch eher diskursiv aufgestellt. Er dekliniert verschiedene Themen oder Aspekte eines Themas durch, statt wirklich eine Handlung zu erzählen. Da hat man mehr Raum zum Interpretieren. Die Freude an Interpretationsräumen kommt vielleicht auch gar nicht vom Theater, sondern von der Bildenden Kunst. Das habe ich ursprünglich studiert.

Im Theater arbeitet man ja im Kollektiv, für den Roman warst du allein. Welche Herausforderungen gab es da?

Es war schon befreiend, mal ganz allein zu arbeiten. Ich habe zwar auch schon vorher Stücke allein geschrieben, aber im Theater herrscht trotzdem immer eine Form von Zusammenarbeit, man arbeitet mit der Regie zusammen, mit Lichttechnikerinnen usw. Es war also eine angenehme Herausforderung, mal ganz alleine für etwas verantwortlich zu sein. Aber ich vermisse das Kollektive auch. Das Gespräch, der Austausch und die Sozialität in der Arbeit.

Schlussendlich war ich aber auch beim Roman nie ganz allein. Man arbeitet mit Verlagsleuten zusammen, mit denen man über das Buch spricht und Ideen austauscht. Und als ich mit Die Aufdrängung anfing, war ich noch im Masterstudium; das war quasi meine Masterarbeit und ich habe dementsprechend auch mit Dozent:innen und Mentor:innen darüber geredet. Es haben letztendlich also doch viele Leute dieses Werk gekreuzt und beeinflusst. Im Literaturbetrieb wird das vermutlich einfach etwas ausgeblendet.

Und zu guter Letzt: Was ist dein Problem mit Sofas?

Als Autorin mag ich Sofas eigentlich sogar. Sie haben sich vermutlich etwas aufgedrängt beim Schreiben, da ich gerne auf dem Sofa arbeite. Sie sind aber auch ein Symbol von Unproduktivität, von Bequemlichkeit und Sesshaftigkeit. Das nimmt ein wenig Bezug auf die Ich-Erzählerin, die sich Veränderung in ihrem Leben wünscht und ausbrechen will, aber eigentlich zu träge ist, um etwas dafür zu tun. Sie schafft es schliesslich ja auch nicht, aus der Monotonie ihres Lebens herauszukommen. Vielleicht ahnt sie, dass das Sofa ihr Feindbild der Stagnation repräsentiert.

 

Das Gespräch führte Julia Santa Brunner.

Foto: © Thilo Bleu/Suhrkamp Verlag

Ariane Koch: Die Aufdrängung. 179 Seiten. Berlin: Suhrkamp 2021, ca. 20 Franken.

Weitere Bücher