KW13

Hippie-Melancholie

Romana Ganzoni Gianna Conrad

Die 60er Jahre mit Krawall, freier Liebe – und der Frage nach Schuld. Oliver Diggelmanns Romandebüt «Maiwald» schneidet grosse Themen an, erreicht dabei aber zu wenig Tiefe.

Von Katja Lindenmann

Am Anfang steht der Selbstmord des Psychiaters Klaus Maiwald. Ausgerechnet András, der in seiner Jugend mit Maiwalds Tochter Simone liiert war, hat von seiner Zeitung den Auftrag erhalten, über das Leben und Ableben der schillernden Persönlichkeit zu berichten. Im Laufe seiner Recherche wandelt sich deswegen nicht nur András’ Bild von Maiwald, sondern auch das seiner eigenen Vergangenheit. Er begibt sich auf eine Suche nach sich selbst und steigt hinab in eine Erzählung, in deren Zentrum neben Maiwald noch zwei weitere Tote stehen.

Stückweise reicht der Zürcher Völker- und Staatsrechtprofessor Oliver Diggelmann in seinem ersten Roman den Lesern dabei den roten Faden. In Flashbacks erinnert sein Ich-Erzähler András seine Teenagerzeit und die Beziehung mit Simone, deren Kulisse ein besetztes Spinnereiareal bildet. Es ist eine Liebe zwischen Protestplakaten und Drogensüchtigen, zwischen jugendlicher Hoffnung und gewaltsamer Realität. Denn am Ende der fetzenweise erzählten Liebesgeschichte steht Simones Tod: Kurz, nachdem sie sich von András getrennt hatte, wurde sie von kommunistischen Rebellen in den Anden erschossen. Von Simones Tod führt András wiederum eine Spur zum Suizid seiner Mutter – und nachdem immer mehr Verbindungen zwischen den drei Todesfällen auftauchen, steht plötzlich die Frage im Raum, wer nun wirklich tot ist und vor allem, warum. Der Roman dreht die Zeit immer weiter zurück; erst als er bei den Eltern von András ankommt – die in den 60ern Teil einer Kommune waren, in der auch Maiwald und seine Frau verkehrten –, lockern sich die Maschen. Einmal mehr zeichnet Diggelmann dort das Bild der revolutionären Jugend: Eine riesige Patchworkfamilie im besetzten Haus, sexuelle Freiheit und die Idee, die Welthierarchie umzukrempeln. Hier löst sich alles auf.

Das Problem des Romans liegt zum Ersten in der Stillage. Verzichtet der Erzähler fast ganz auf Ausschmückungen und beschränkt sich recht konsequent auf die Wiedergabe dessen, «was geschieht», so wird der nüchterne Duktus doch immer wieder durchbrochen von einem nicht nachvollziehbaren Pathos: «Das Wasser flüstert mir Worte zu, kaum hörbar und geheimnisvoll. Es ist die Stimme von morgen, die mir den Weg zu meiner Wunschstrasse weist», durchfährt es den Protagonisten am Fluss vor der Spinnerei. Und mit einem Mal erscheint jene Nüchternheit des Erzählens nicht mehr als Technik, sondern vielmehr als Scheitern an einem poetischen Schreibstil. Streckenweise gelingen dem Autor zwar Passagen, in denen die Figuren ‹bei sich› sind, in denen sie so etwas wie Authentizität entwickeln; Momente, die den Leser in die Geschichte hineinziehen und ihn sich mit ihr verbinden lassen. Nur lösen die vielen Klischees – und das wäre zum Zweiten – die dort erreichte Nähe wieder auf.

In den Rückblenden ist die Gegenwart zu stark spürbar: Der Zeitgeist schwindet, das Vergangene bleibt ein Konstrukt der Gegenwart. Das ist als Reflexion zweifellos in Maiwald auch so angelegt; allerdings verführt das Konstrukt den Roman zur Projektion klischierter Vorstellungen. So entpuppt sich der Einblick in die 68er-Bewegung als Hippie-Melancholie. Beim gemeinsamen Nacktbaden von András und Simone ertrinkt die Liebesgeschichte um die beiden Teenager in Stereotypien – von den Eltern abgefangene Briefe inbegriffen.

Immer wieder nimmt der Erzähler dem Text so ostentativ seine Ernsthaftigkeit, dass dem Leser kaum etwas anderes übrig bleibt, als krampfhaft nach den Fragen zu suchen, die Maiwald eigentlich stellt oder stellen möchte. Und am Ende wird er natürlich beim Komplex der Erinnerung landen: bei der Frage, ob es so etwas wie eine spezifische Erfahrung von Generationen gibt – oder wir diese nicht vielmehr rückblickend erfinden und dabei die Wahrheit für das Klischee eintauschen. Aber um das herauszufinden, muss man sehr lange – zu lange – in Diggelmanns Debüt graben.

Oliver Diggelmann: Maiwald. 252 S. Tübingen: Klöpfer & Meyer 2017. ca. 29,- CHF.

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