KW12

Die Gesetztheit der Dinge

Romana Ganzoni Gianna Conrad

Michael Fehrs Erzählband «Glanz und Schatten» erkundet die Gewalt des Minimalismus. Zum Vorschein kommt dabei der Kampf der Sprache gegen die Logik des Fatalismus.

Von Mirja Keller

Sprachlicher Reduktionismus ist Programm beim Berner Schriftsteller Michael Fehr: In seinem zuletzt erschienenen, viel beachteten und mit dem Kelag-Preis ausgezeichneten Prosatext «Simeliberg» (2015) verdichtete er knappe Halbzeiler zu einem virtuosen Kriminalroman. Mit dem soeben erschienenen Erzählband «Glanz und Schatten» präsentiert Fehr nun einen Auszug seines kreativen Schaffens der letzten fünf Jahre – dem literarischen Minimalismus ist er dabei treu geblieben. In nur wenigen Strichen und Worten skizziert Fehr das Setting, das Umfeld, in welchem sich die Figuren seiner Kurzprosa bewegen –  nicht selten eine etwas archaisch anmutende Erzählwelt: «Es war Sommerzeit / und er hatte keine Frau / es war Sommer / und er war ohne Frau / er hatte ein Häuslein am Strome / es wurde Winter und wieder Sommer / er hatte ein Häuslein am Strome und war ohne Frau».

Fehr verweigert sich dabei sprachlicher Opulenz: Das verwendete Vokabular ist bescheiden, die Formulierungen konzise. Nicht zuletzt diese erzählerische Ökonomie ist es, die den insgesamt 18 Erzählungen einen einfachen, ungekünstelten Anstrich verleiht und dabei nicht selten die fabelhafte, exemplarische Welt der Märchen evoziert. Die Moral am Schluss sucht der Leser jedoch vergebens: Das brutale Ausweiden eines Rebhuhns; die List einer Schlange, die einen alten Mann mit ihrem tödlichen Biss zu Nahrung machen wollte oder der Verzehr eines bei lebendigem Leib gekochten Tiers – die Geschichten haben kein Nachspiel, keine Konsequenzen. Der Erzähler wertet nicht, die Gewalt der Figuren bleibt unkommentiert. Mit Absicht?

So wie sich die Wortsetzung Michael Fehrs gegen jede Festigung sperrt, ohne Grenzen, Punkte oder Kommata auskommt, es also auch nicht die eine Lesart geben kann, so offen bleiben letztlich auch die Texte. Oftmals enden sie, wie sie begonnen haben, Worte und ganze Zeilen wiederholen sich, Sprache und Inhalt werden redundant. Etwa in der Geschichte vom alten Mann, der von einem Schwarm Mücken belästigt wird: «Was bleibt ihm / manchmal ruft er / ‹Gerechtigkeit› / in die Dunkelheit / ‹Ehre / Redlichkeit›». Die Worte bleiben jedoch wirkungslos, die Mücken stechen weiter. Fehrs Erzählungen beschwören damit einen Fatalismus, eine Gesetztheit der Dinge, deren Ordnung unveränderbar scheint.

So gefangen aber die Figuren letztlich in ihrem Dasein wirken mögen, Fehrs lyrische Prosa entfaltet sich derweil völlig zwanglos und konterkariert dadurch geradezu die Absolutheit seines Weltentwurfs. Findet der Ausbruch aus dem Regelwerk des menschlichen Lebens also in der Sprache statt? «was ich staune / als ich droben den Dunst leer finde / leerer als leer / finde Rechner / Schreiber / andere Apparate / anderes Abartiges / verirrte Menschen / verwirrte / die nicht wissen / was sie tun / noch weiss ich / was ich tun soll», heisst es in der Erzählung «Der Eroberer und der Emperor». Die kurzen, sich ständig wiederaufgreifenden und umformulierenden Zeilen zeigen auf, was hinter dem stilistischen Minimalismus des Berner Autors steht: Wiedergegeben wird eine Sprache, die stets im Entstehen begriffen ist. Die Erzählungen Fehrs versuchen sich an einem Spiel mit dem rohen Sprachmaterial. Und die Regeln für das Formen des sprachlichen Rohstoffes werden laufend neu entworfen. Dabei werden gängige Konventionen einmal mehr unterwandert, die Grenzen zwischen Lyrik und Prosa verschwimmen und Vergleiche zu anderen Kurzprosa-Autoren müssen einfach scheitern, wenn man sich Fehrs beispielloser Sprache annähern will. Dies nicht zuletzt, wenn man das Produktionsverfahren des Erzählers mitbedenkt: Fehrs Worte existieren zunächst immer nur als flüchtige Äusserungen, aufgezeichnet und verschriftlicht werden sie von einer speziellen Software. Diese wunderbar verqueren Erzählungen sollte man sich daher am besten in ihrer ursprünglichen, mündlichen Form zu Gemüte führen –  beim lauten Lesen.

Michael Fehr: Glanz und Schatten. Erzählungen. 144 Seiten. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2017. 25 CHF. Die Buchtaufe findet am 29. März im PROGR Bern statt. Am 2. April liest und musiziert Michael Fehr im Zürcher Kaufleuten.

Zum Verlag

Weitere Bücher