KW19

Das ewige Loufe

Romana Ganzoni Gianna Conrad

In «Babylon Park» durchquert Ariane von Graffenried den Ozean des globalen Sermons. Im Gleiten von Welle zu Welle, von Sprache zu Sprache schafft sie ein beeindruckend dichtes poetisches Werk - dem sein pragmatischer Charakter freilich immer noch anzumerken ist.

Von Carlo Spiller
8. Mai 2017

Wer nach Wortkreuzungen zwischen dem Arabischen, Finnischen und Lateinischen sucht, wird hier enttäuscht. Ganz so anspruchsvoll muss es aber auch nicht sein, wenn sich die im Buch dominierende Berndeutsche Mundart charmant auf Englisch und Französisch reimt: «Je passe par la rue de l’avenir / sans but / et relativement verlore / i frömde Lüt / u eigete Hirnregione». Besonders gelungen ist es dann, wenn sich in der durch das Konzept gegebenen Sprachunsicherheit die Bedeutung des Wortes erst durch den Reim ergeben. ‹But›, franz. ‹Ziel›, engl. ‹aber›, hier durch die Grammatik aber auch den Laut von ‹Lüt› eindeutig als Französisch zu identifizieren.

Nicht alles fliesst

«edition spoken script» heisst die Reihe des Luzerner Verlags «Der Gesunde Menschenversand»  – und darum, um das «geschriebene Gesprochene», geht es auch hier. Die Bücher der Reihe nehmen sich in schriftlicher Form der gesprochenen Sprache an. Der Verlag ist aus der deutschsprachigen Poetry Slam Szene der späten 90er hervorgegangen und inzwischen zu einem Zentrum der Schweizer Mundartliteratur geworden. Was zunächst als gewagter Spagat seinen Anschein hat, funktioniert in Ariane von Graffenrieds neuem Buch Babylon Park erstaunlich gut. Auch hier ist der Name Programm: Das babylonische Sprachwirrwarr lebt auf, wenn auch nicht ganz zu voller Blüte.

Zur Autorin

Ariane von Graffenried, geboren 1978 in Bern, promovierte in Theaterwissenschaften an der Universität in Bern. Sie ist Autorin von journalistischen, wissenschaftlichen und literarischen Texten und tritt als Spoken-Word-Performerin mit dem Musiker und Klangkünstler Robert Aeberhard im Duo «Fitzgerald & Rimini» auf. 2017 erschien von Graffenrieds Sprechtextsammlung «Babylon Park» (edition spoken script), die mit dem Literaturpreis des Kanton Berns prämiert wurde.
Foto: © Claudia Herzog

Verloren oder alleine gelassen wird man als Leser nie in diesem Vortex der aufgebrochenen Bedeutungen. Davon wäre sogar noch mehr vorstellbar gewesen. Besonders die eingestreuten Prosastücke wirken deplatziert, unmotiviert. Sie stören bisweilen den Lesefluss; ihr systematischer und struktureller Grund wird nicht so recht sichtbar. So wäre es wünschenswert gewesen, der Prosa einen eigenen Platz – womöglich in einem gesonderten Kapitel – im Buch zuzuweisen. Will man die Gegenüberstellung Gedicht und Prosa als formales Wirrwarr sehen, die Übergänge als Konfrontation mit dem ständig Neuen und Fremden einer erst zu entdeckenden Welt, wäre auch hier mehr Mut zu formalen Ausbrüchen angebracht gewesen. Nichtsdestotrotz bietet auch die Prosa der Autorin Kapriolen zwischen Schrift und gesprochener Sprache.

Gehör fürs Subtile

Die Texte des Buchs sind in thematische Abteilungen gegliedert, die von Portraits berühmter KünstlerInnen bis zu Portraits von Ortschaften reichen. Der ausufernde Ozean einer globalisierten Welt wurde hier durch ein Augenmerk auf die einzelne Welle eingefangen, «obwou i se gar nid au versta di Sprache / u o nid di Sprachbeder / ni d’ailleurs les eurocrates.» Das ist gleichsam eine der wenigen explizit politischen Stellen in einem Buch, dessen thematische Engführung von biblischem Babylon und der aktuellen Globalisierung dies durchaus reizvoll vorgegeben hätte.

Die Sprache der lyrischen Stimme, die hier zum Tragen kommt, ist bildhaft, immer wieder mit unerwarteten Wendungen versehen, mit einer Achtsamkeit und einem Gehör für das Subtile. Der menschlichen Verletzlichkeit wird mit einer Neugierde für das Andere und einer einladenden Offenheit begegnet. Die Reise und Beobachtung als bereits formuliertes Leben sind teil dieser Poetik, in der «das ewige Loufe schon e Teggscht» ist. Neben der Prosa ist der freie Vers die zentrale und dominierende Form. Die übersprachlichen Reime zwischen Berndeutsch, Englisch und Französisch, mit denen eine eigene Ordnung, aus dem Wirrwarr eine Pluralität geschaffen wird, stellen das gelungenste Element von Babylon Park dar.

Die babylonische Vielfalt wird glücklicherweise auch medial ausgearbeitet. Zum Buch mitgeliefert ist das bereits 2015 erschienene Album Grand Tour, das aus Hörstücken und einem Film besteht und per Download bereitgestellt wird. Dort vertont die in Theaterwissenschaften promovierte Autorin im Duo mit dem Musiker Robert Aeberhard einige Texte des Buchs. Sorgfältig gearbeitet, lassen sie einen gerne spazieren im lebhaften «Dürenang». So erweitert sich die Leseerfahrung um eine klangliche und visuelle Dimension.

Ariane von Graffenried: Babylon Park. 204 Seiten. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2017. 23,- CHF.

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