KW02

Vom Abschiednehmen

Tom Kummer

Mit «Das schöne Leben der Toten» nimmt sich Milena Moser einem existenziellen wie ganz persönlichen Thema an: Dem Tod. Herausgekommen ist dabei ein zeitloses Buch, das im Erzählen Schmerzlinderung findet.

Von Michelle Holz
8. Januar 2020

Milena Moser nimmt ihren Haustürschlüssel nie mit, wenn sie auf Reisen geht. Normalerweise geht sie davon aus, dass Victor, ihr Freund, sie abholen wird. Doch seit Victor krank ist, kann sie sich darauf nicht länger verlassen. Was wenn sich sein Zustand während ihrer Abwesenheit verschlechtert? Dass die Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod für Milena Moser nun zur Tagesordnung gehört, wird auch im Titel des autobiographischen Buches deutlich: Das schöne Leben der Toten – Vom unbeschwerten Umgang mit dem Ende. Es wurde von Milena Moser und ihrem Freund Victor-Mario Zaballa, der in Cuernavaca, Mexiko aufgewachsen ist, verfasst. Das Cover, das er gestaltet hat, zeigt eines seiner Kunstwerke, einen bunt geschmückten Totenkopf.

Während der Tod in unseren Breitengraden in düsteren Farben gehalten und zu Beerdigungen schwarz getragen wird, sind die Friedhöfe in Mexiko im Gegensatz sehr farbenfroh. Die kulturellen Unterschiede zeigen sich aber nicht nur auf dem Cover, sondern auch an Inhalt und Form des Buches. Darin finden sich Zitate, Rezepte, Gedichte, Listen von Toten, Fotografien und Zeichnungen. Sowohl bei den Fotografien als auch den Zeichnungen handelt es sich um Victors Kunst, die sich mit dem Día de los Muertos auseinandersetzt.

Zur Autorin

Milena Moser, geboren 1963 in Zürich, lebt zusammen mit Victor-Mario Zaballa in San Francisco. Nach einer Buchhändlerlehre siedelte sie nach Paris über, wo sie das Magazin «Sans Blague, Magazin für Schund und Sünde» mitbegründete. Darin erschienen Mosers erste Geschichten, 1990 debütierte sie mit ihrem Erzählband «Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord». Der Folgeroman «Die Putzfraueninsel» (1991) avancierte zum Bestseller und wurde 1996 von Peter Timm verfilmt. Es folgten über zwanzig weitere Bücher sowie zahlreiche Essays, Artikel, Hörspiele, Übersetzungen und Beiträge in Anthologien. Seit 2004 leitet Moser Workshops im kreativen Schreiben in San Francisco, in Santa Fe und in der Schweiz.

Das Buch gewährt einen sehr intimen Einblick in das Leben des Schriftstellerpaares und liest sich wie ein fortlaufender Dialog über die mexikanische Kultur und ihren Umgang mit dem Tod. Den im Topos angelegten Ernst vermögen Milena Moser und ihr Freund durch narrative Elemente aufzulockern: Etwa mit der Anreicherung durch Viktors anekdotisch verpacktes Wissen, das humoristische Aspekte des Totenkults erkennen lässt, wie zum Beispiel der Glaube, dass die männlichen Toten im Jenseits auf Frauen treffen und diese an ihren Brüsten wiedererkennen würden.

Das Zwiegespräch des Paares, in Kombination mit Mosers Reflexionen, den historischen Beschreibungen und ihrer Recherche über die Kultur der Azteken sind es, die Das schöne Leben der Toten so interessant machen. Eindrücklich beschreibt Milena Moser den Schädelturm, auch Tzompantli genannt, welcher 2015 in Mexiko City gefunden wurde. Die Anordnung der Schädel bildet ab, wie diese Menschen zu Tode gekommen sind – für Moser eine befremdliche Architektur. Zugleich zeigt sich Milena Moser in Das schöne Leben der Toten überraschend persönlich. So erfahren wir beispielsweise, wie sich das Paar kennengelernt hat und dass Victor anfangs nur ein Freund war, mit dem sie sich ein oder zweimal im Jahr zum Mittagessen traf. Und dass sich ihre Liebe erst zaghaft entspann und dann in stürmischer Leidenschaft mündete. Doch die Liebesgeschichte ist keineswegs immer sorgenfrei: Wiederholt findet Victors Krankheit und sein drohender Tod Eingang in das Zwiegespräch. Deutlich zeichnet sich ab, dass das Schreiben für Moser eine therapeutische Funktion übernimmt und dieses Buch das Ergebnis eines Reflexions- und Verarbeitungsprozesses der tödlichen Krankheit des Geliebten ist. Dabei erweist sich die interkulturell gebrochene Perspektivierung des Themas als eine potente, schmerzlindernde Erzähltechnik, ein pharmakon. Das schöne Leben der Toten zeigt eindrücklich, dass die Enttabuisierung durch ein vielstimmiges Sprechen über das Ende des Lebens viel für uns bereithält. So ist Milena Moser mit diesem Buch ein Werk von zeitloser Aktualität gelungen.

Milena Moser: Das schöne Leben der Toten. Vom unbeschwerten Umgang mit dem Ende. 176 Seiten. Zürich/Berlin: Kein & Aber 2019, ca. 25 Franken.