«Wäre sie keine Frau gewesen, wäre sie Staatspräsident geworden»

Zora del Buono eröffnete den strahlenden literaare Sonntag und liest Passagen aus ihrem Roman Die Marschallin, der das Leben ihrer Grossmutter und Namenspatin Zora Del Buono geschrieben hat. Zwischen den Leseblöcken sprach die Zürcher Autorin mit Gallus Frei Tomic über biographische Bezüge und Parallelen zu ihrer schillernden Romanfigur, ihr ambivalentes Verhältnis zu Italien und darüber, wie ihre Arbeit als Architektin ihr schriftstellerisches Schaffen beeinflusst. Zudem hatte Zora del Buono ihre beiden Hunde Mika und Natalina mitgebracht, welche das Publikum ebenfalls auf äusserst charmante Art zu unterhalten wussten.

Doch nun zum Roman: Die Marschallin wirft Scheinwerferlichter auf das Leben Zora Del Buonos im faschistischen Italien – auf eine unbeirrbare Frau, die sich über sämtliche Konventionen hinwegsetzt, eine feurige Kommunistin und glühende Verehrerin Josip Broz Titos, was ihr den Übernamen «die Marschallin» einbringt. Die Enkelin erinnert, dass ihre Grossmutter keine Widerworte geduldet habe, stets auf Provokation aus war. Wäre sie keine Frau gewesen, so del Buono – die jüngere – wäre sie wahrscheinlich Staatspräsident geworden.

Ein erster Leseblock setzt während des Ersten Weltkriegs ein, im besetzten, südslowenischen Bovec, der Heimat Zora Del Buonos. Dort lernt die Protagonistin ihren späteren Ehemann, den sommersprossigen Sizilianer und führenden Radiologen Pietro del Buono kennen und lieben. Zora folgt Pietro nach Bari, wo sie sich zusammen mit ihrem Ehemann vollkommen der Idee des Kommunismus verschreibt. Unter Zoras Regie erbauen die beiden eine herrschaftliche Villa, welche die Enkelin als «das schönste Haus auf Erden» bezeichnet. Die planerischen Geschicke der Grossmutter haben zweifelsohne abgefärbt: Es waren wohl «diese Räume», welche ihre Nachfahrin zu einem Architekturstudium bewogen. Auch die Grossmäuligkeit habe sie von ihrer Grossmutter geerbt, fügt die Autorin lachend hinzu. 

Die Nachfrage von Gallus Frei Tomic, ob sie den Beruf der Schriftstellerin gemäss einem Stalinzitat als «Ingenieurin der Seele» verstehe, kommentiert die Autorin verschmitzt: «Ein bisschen, vielleicht», und präzisiert, dass sie sich noch mehr als «Beobachterin der Seele» verstehe. Und tatsächlich wird auch an diesem Thuner Sonntagnachmittag überdeutlich, dass Die Marschallin, dieser zurecht vielgerühmte Roman, ein Kunstwerk der Perspektiven ist – das die Leserschaft just an diesen Beobachtungen der Seele teilhaben lässt.