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Labyrinth ohne Ausweg

Mit seinem Roman «Die letzte Kolonie» legt Markus Bundi eine dystopische Abenteuergeschichte vor, die aktueller nicht sein könnte.

Von Linus Oberholzer
26. April 2021

Der Platz auf der Erde zu eng, der Versuch, einen anderen Planeten zu bevölkern, gescheitert: Die Welt der Zukunft, wie wir sie in Die letzte Kolonie vorfinden, ist gebeutelt. Und zwar von den realen Bedrohungen wie Pandemien, Klimaerwärmung und Überbevölkerung. Die Menschheit, gezeichnet von den Auswüchsen des Kapitalismus, ist tief gespalten. So tief, dass die unterste Gesellschaftsschicht, die sogenannten «Untersch», tief unter die Erdoberfläche verbannt ist. Dort arbeiten sie für die Oberschicht und scheinen längst vergessen zu haben, wie das Leben bei Tageslicht aussieht. Damit die «Untersch» nicht aufbegehren, werden sie zugedröhnt mit psychoaktivem Trinkwasser. Dieser Wasch versetzt sie in einen fortwährenden Dämmerzustand, schwächt ihre menschlichen Triebe – und macht sie träge und gefügig.

Fragmentarisches Erzählen

Der Roman beginnt mit dem Aufbruch Florios, einem «Untersch», der nach mehr strebt als seine Mitmenschen. Er will nach oben. Der betäubenden Wirkung des Waschs kam er auf die Schliche, kann seinen Durst mithilfe eines skurrilen Wasserhändlers stillen, der in der Lage ist, sauberes Trinkwasser herzustellen. Seine Sehnsucht, die Erdoberfläche zu erblicken, führt Florio auf eine Irrfahrt durch die endlosen Schächte der Unterwelt, vorbei an fantastischen Kreaturen und zwielichtigen Gestalten bis hin zum Meierschen Stollen in Aarau, wo er schliesslich das Tageslicht erblickt. Oben angekommen stellt Florio mit Schrecken fest, dass auch das Leben an der Oberfläche nicht das ist, was er sich vorgestellt hatte: Getrieben vom unwirtlichen Klima streben die Oberweltler nach unten.

Zum Autor

Marukus Bundi, geboren 1969 in Wettingen (AG), aufgewachsen in Nussbaumen bei Baden. Studium der Philosophie, Neue Deutsche Literatur und Linguistik an der Universität Zürich. Darauf arbeitete er als Sport- und Kulturredaktor bei der Badener und Aargauer Zeitung und ist derzeit Gymnasiallehrer für Philosophie und Deutsch an der Alten Kantonsschule Aarau. Seit 2001 veröffentlicht Bundi literarische Texte und ist darüber hinaus in der Literaturvermittlung engagiert. Ausserdem ist er Herausgeber der Werkausgabe Klaus Merz und der REIHE, eine Schweizer Edition für Lyrik und Kurzprosa. Bundi lebt heute in Baden.
Foto: © Franjo Seiler

Für einen Roman von Markus Bundi alles andere als überraschend, sind es drei verschiedene Erzählperspektiven, die vorerst den Eindruck vortäuschen, ein allumfassendes Bild vom Leben im Untergrund, wie auch über das Schicksal Florios zu erhalten. Weit gefehlt. Ähnlich wie in seinem letzten Roman Der Junge, der den Hauptbahnhof Zürich in die Luft sprengte, gleichen die verschiedenen Perspektiven viel eher Fragmenten. Die Lesenden sehen sich gezwungen, diese selbst zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Ihrer Gefühlslage wird dabei Ausdruck verliehen durch ein immer wiederkehrendes «Tominonemol!», dem sich die «Untersch» gerne bedienen, um ihren Unmut kundzutun.

Schockierende Aktualität

Auch wenn es Markus Bundi gelingt, ein kohärentes Bild einer düsteren Zukunft zu zeichnen, kontrastiert er diesen Effekt oft mit Elementen, die das Erzählte ins Lächerliche ziehen. So sind es etwa Eigenarten wie Wodka und Gummibärchen als Zahlungsmittel, derer sich die «Untersch» bedienen oder Figurennamen wie Kerosin oder Flipflop, deren Sinn nicht wirklich zu verorten ist. Sollen diese komischen Elemente etwa den düsteren Grundton des Romans aufhellen? Oder handelt es sich hierbei um einen forcierten Versuch, die dystopische Welt stärker erfahrbar zu machen? Davon abgesehen schafft es Bundi immer wieder, mit einer unvergleichbar ehrlichen Sicht auf die Realität zu schockieren, indem er schonungslos die Brisanz zeitgenössischer Probleme aufzeigt. So wird im Roman beispielsweise darüber philosophiert, ob die Klimabewegung ohne den Ausbruch von COVID-19 einen entscheidenden Unterschied hätte machen können.

Auch wenn es wenig überrascht, dass dieser düstere Abenteuerroman von Markus Bundi gerade jetzt zu Zeiten der Pandemie erscheint, bringt er einen entscheidenden Mehrwert mit sich: Nur, wer beim Lesen aus der eigenen Komfortzone gelockt wird und sich den Weg durch das Labyrinth an erzählerischen Fragmenten bahnt, findet den Ausweg zurück in die reale Welt, in der scheinbar ausweglose Bedrohungen angegangen werden können, bevor es zu spät ist.

Markus Bundi: Die letzte Kolonie. 168 Seiten. Wien: Septime Verlag 2021, ca. 25 Franken.