KW16

Im Spottlicht

Bärfuss Mora

Humorkritik steht im Schweizer Buchjahr nicht allzu oft an. Schon das gibt den satirischen Stellungnahmen zum Kulturbetrieb des deutsch-russisch-schweizerischen Autors, Künstlers und Wissenschaftlers Alexander Estis einen Startvorteil. Den er nicht nur locker ins Ziel bringt, sondern auf dem Weg der Lektüre noch ausbaut.

Von Christoph Steier
19. April 2019

Für Scharmützel mit offenem Visier ist der Schweizer Kulturbetrieb eher nicht bekannt. Man streitet, wenn überhaupt, über die Sache und hat es ansonsten schwer genug. Was den Schulterschluss erleichtert. Die Sache wiederum ist alles und jeder. Nur nicht der eigene Laden.

Einen Versuch in dieser Richtung hat zuletzt Jürg Halter in Erwachen im 21. Jahrhundert unternommen; seine Typologie deformierter und ergo dekorierter Dichterinnen- und Dichterdarsteller schrammte knapp am Schlüsselroman vorbei. Und ging wohl auch nur deshalb ohne grösseres Murren über die Bühne, weil das Buch kein rechtes Publikum fand und der Kulturbetrieb nicht sein zentrales Problem darstellte – darstellen durfte? Wie auch immer, die Wut ist da, das Unbehagen schwelt, immer kann es nicht so weiter gehen. Aber eine Runde schon noch, schon länger. Kurzen Prozess verspricht da, nicht erst seit gestern, das Epigramm:

Schon vor dem Trauerspiel verfallen wir in Trauer:

Wir lasen im Programm von seiner Dauer.

Einen ganzen Schwung solcher launigen Stellungnahmen zum Kulturbetrieb hat nun Alexander Estis vorgelegt. Dass der Name bislang nichts sagt, in keiner Förderliste auftaucht, dürfte massgeblich daran beteiligt sein, dass hier einer was zu sagen hat. Von aussen, direkt in den Bypass des Betriebs: «Sind Sie begabt dramatisch? als Poet? im Fabulieren?/Dies nicht; doch in der hohen Kunst – zu publizieren.» Kunst als Mittel zum Förderzweck, Schranzen im Spottlicht: «Ein Taugenichts entdeckte, wie man Speichel leckt;/Und sieh: Er wurde als Talent entdeckt.»

Zum Autor

Alexander Estis wurde 1986 in Moskau geboren und erhielt Kunstunterricht bei den Eltern, in Kunstschulen und bei verschiedenen Moskauer Künstlern. Nach einem Studium der Klassischen Philologie und Germanistik unterrichtete er an Gymnasien und Universitäten in Deutschland und der Schweiz, wo er heute lebt. Estis ist Autor wissenschaftlicher Arbeiten, dichterischer Übersetzungen und essayistischer Aufsätze, die in Russland und Deutschland publiziert werden; sein wichtigstes Metier sind jedoch literarische Kurzformen. Das Ineinandergreifen von Wort und Bild gehört zu den Leitideen seiner Arbeit.
Foto: © privat

Nicht besser kommen die Gelehrten und die bildenden Künstlerinnen und Künstler weg, die intellektuelle Löckchen auf der belletristischen Glatze drehen, vom Takt keine Ahnung haben oder um keine Pose verlegen sind, um alles andere indessen schon:

Geht´s um Dinge ganz abstrakt,

Sprühst du Witz im genus grande;

Nach der Sache Kern gefragt,

Bringst du kaum ein Wort zustande.

Das droht gelegentlich selbst zur – metrisch bewundernswert streng gearbeiteten – Pose zu werden, kriegt aber nicht zuletzt wegen der beigegebenen Zeichnungen von Oleg Estis immer wieder die überraschende, vom Ätzenden ins Selbstironische driftende Kurve. Der bereits 1999 verstorbene Bruder des Autors reüssierte früh als Karikaturist und erhält hier nicht bloss ein würdiges Andenken, sondern tritt in eine Art postume Ko-Autorschaft ein: Mal gibt die Karikatur die Richtung vor, liefert das Stichwort, mal setzt sie der Text in ein anderes Licht und vice versa. Eine produktive Arbeitsbeziehung, die angenehm schräg in der hiesigen Textlandschaft steht und gerade weit genug durch Zeiten, Länder und Sparten streift, dass sich am Ende dann doch alle und damit keiner gemeint fühlen muss. Was immerhin dem Publikum den wohlfeilen Teppich des geteilten Ressentiments und dem Autor den Vorwurf der Besserwisserei entzieht. Hat der aber ohnehin nicht nötig, sondern immer schon gewusst: «Was immer man an seinen Werken kritisiert:/Er hat es stets bewusst so konzipiert.»

Kleines Buch, feine Unterhaltung, der zu wünschen bleibt, dass sie sich ihrer Originalität nicht auf dem Holz(verschwendungs)weg versichern muss, der den meisten Projektemachern als letzte Zuflucht bleibt:

Sein Werk ist seins allein, niemandes sonst gewesen;

Er hat´s allein geschrieben, hat´s allein gelesen.

Alexander Estis: Stellungnahmen zum Kulturbetrieb. 64 Seiten. Zürich Amsel Verlag 2019, 25 Franken.

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