KW18

Weggespült

Martina Caluoris Lyrikband «Ich weine am liebsten in Klos» traut sich wohl selbst nicht ganz über den Weg.

Von Luana Sarbacher
30. April 2024

Kurze unbetitelte Einträge, meistens nur ein paar Zeilen lang, die an Notizen aus einem Tagebuch erinnern. Martina Caluori spürt in ihrem neuen Lyrikband Ich weine am liebsten in Klos dem Abschied von einem geliebten Menschen nach. Handlung gibt es eigentlich keine, vielmehr werden kleine Bilder geschaffen, auf jeder Seite ein neues, dazwischen viel weisse Leere. Und doch gelingt es der Autorin, einen erzählerischen Bogen zu spannen, so lässt das trauernde Ich im letzten Eintrag das verlorene Du gehen und zieht wortwörtlich weiter in eine neue Stadt.

Wässrige Trauer

Dabei ist Trauer stets mit Flüssigkeit verbunden, überall fliesst, tropft es oder etwas wird weggespült. «Die Trauer, verflüssigt in Gin», das Meer «schreit» und das Ich weint «am liebsten in Klos». Caluori macht deutlich: Verlust hinterlässt Leerstellen, Verlust bedeutet eben genau das Auflösen von Form. Und so scheint der Text selbst ebenfalls zu fliessen und zu tropfen, statt einer fixen Form zu folgen, versucht die Bewegung des Trauerns performativ zum Ausdruck zu bringen. Dazu passt auch der Gedankenstrich, welcher fast schon inflationär eingesetzt wird.

In dieser Form(-losigkeit) des Textes wird erkennbar, hier will keine Geschichte erzählt, sondern vielmehr ein Gefühl vermittelt werden. Das gelingt Caluori zu einem grossen Teil mit den vielen Leerstellen und originellen Bildern. So wird das Ich von einer Schaufensterpuppe geküsst und findet Zuflucht in deren Gesellschaft. Und auf den ersten Blick sinnlos wirkende Sätze wie «Ich wünschte, ich passte in das Kühlschrankfach» lösen beim Lesen plötzlich etwas aus, geben dem Unbenennbaren einen Ausdruck. Jedoch hält sich dieses Vorhaben nicht durch alle Texte. Klischees werden auch ausgespielt, mehr als einmal hat man den Eindruck, einem Kalenderspruch zu begegnen und wird an diesen Stellen rausgerissen.

Zur Autorin

Martina Caluori, Jahrgang 1985, studierte Publizistik und Filmwissenschaften und lebt als Autorin in Chur und Zürich. 2019 erschien ihr Lyrikdebüt «Frag den Moment», 2021 in Co-Autorenschaft mit Lea Catrina, «Öpadia – A Novella us Graubünda», 2022 ihr Kurzprosadebüt «Weisswein zum Frühstück» und 2023 ihr Lyrikband «Ich weine am liebsten in Klos». 2022 wurde sie mit dem literarischen Werkbeitrag der Stadt Chur ausgezeichnet.

Multimedialer Overkill

Während diese Brüche noch verkraftbar sind, wird die von den Wortminiaturen ansonsten sehr schön evozierte Stimmung hingegen von einem multimedialen Experiment auf die Probe gestellt. Denn Ich weine am liebsten in Klosist ein Buch, das zwei Medien vereint: Noch bevor der Text beginnt, steht ein QR-Code auf der ersten Seite. Dieser führt zu einem Audio-Track, in dem sich Martina Caluoris Texte mit der Musik von Marcel Gschwend (aka Bit Tuner) verbinden, während man im Buch mitliest. Eine Idee, die durchaus Potential hätte, hier jedoch nicht funktioniert. Gschwends Musik erinnert eher an Sci-Fi und Weltall und nimmt durch ihre Kälte den feinfühligen Worten Caluoris die Emotionen. So verliert die beim reinen Lesen entstehende Atmosphäre durch den Soundtrack an Wirkung. Gemeinsam mit dem T-Shirt, das es als Merchandise zum Buch zu kaufen gibt, wirkt das Projekt eher wie der Versuch, ein vermeintlich überholtes Medium attraktiver zu machen. Stattdessen hätte man wohl lieber auf die Kraft der Worte vertraut.

Martina Caluori: Ich weine am liebsten in Klos. 128 Seiten. Zürich: lectorbooks 2023, 26 CHF.

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