«Kontaktreliquien». Christian Kiening liest aus seiner Geschichte «Letzte Züge».

Wer ihn kurz zuvor im angenehm reflektierten Literaturgespräch mit Alice Grünfelder erlebt hat, wundert sich vielleicht zunächst ein wenig: Christian Kiening liest mit überraschender Dringlichkeit, gelegentlich fast atemlos. Damit erreicht er ein Tempo, mit dem er den einen oder andern vom tagelangen Zuhören hier in Solothurn ein wenig müden Schädel gelegentlich abhängt. Das ist schade, denn es lohnt sich, Kienings genau gearbeiteter und perspektivenreich zwischen Zeit- und Erinnerungsebenen sich bewegenden Prosa grösstmögliche Aufmerksamkeit zu schenken. Aber der Vortrag erschliesst seinen Text auch neu: Als so rhythmischen hatte ich ihn zunächst nicht gelesen.

Christian Kienings Buch handelt von Krieg, Tod und Flucht, von Alltäglichkeit und von Büchern, aber auch vom Erinnern, und vom Erinnern auch ans Erinnern. Zu diesem Zweck recherchiert er und arbeitet mit authentischen Dokumenten, verdichtet, überlagert, kontrastiert. Von seinen Dokumenten spricht als Kontaktreliquien; es geht ein paar Minuten, bis man verdaut hat, wie präzise dieses Bild trifft.

Er fühle sich nicht berufen zum Richter über die Vergangenheit. Seinem Sprechen und seinem Schreiben merkt man eine kluge Vorsicht an, ein reflektiertes Bestreben, die Vielschichtigkeit von Geschichte und Erinnerung nicht durch groben oder übereilten Zugriff zu reduzieren. An die Geschichte als Lehrmeisterin will Kiening nicht ohne Weiteres glauben, aber «ob es uns hilft oder nicht, es macht uns sicherlich zu reichhaltigeren Menschen.»

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