«Mord erlaubt»

Am 7. Oktober 2006 wurde die Journalistin Anna Politkowskaja im Treppenhaus vor ihrer Wohnung ermordet. Der Täter schoss fünfmal auf die Frau, die gerade ihre Einkaufstaschen trug – am Geburtstag des russischen Präsidenten Putin.

Was nach einem spannenden Theaterstoff klingt, beruht leider auf einer wahren Begebenheit. Die unerschrockene amerikanisch-russische Journalistin riskierte ihr Leben, indem sie kritische Reportagen über den Krieg in Tschetschenien, die Verbrechen der russischen Armee, Korruption und Folter schrieb. Ihr ist das Theaterstück «Anna Politkowskaja – Eine nicht umerziehbare Frau» gewidmet. In einem Monolog vermischt die Schauspielerin Kornelia Lüdorff Fakten aus dem Krieg mit Auszügen aus den Büchern und russischen Tagebüchern von Politkowskaja. Ihr letztes Buch trug den Arbeitstitel «Mord erlaubt». Sie wusste um die Gefahr, in der sie lebte, und wurde schon bald als «Feindin des russischen Volkes» Opfer eines Giftanschlags. Auch eine ihr ähnelnd sehende Nachbarin wurde erschossen. Doch Politkowskaja schrieb weiter. Bis zu ihrem Tod.

Es ist schwer zu fassen, dass diese erschreckende Geschichte, die in völlig reduzierter Form auf der Bühne erzählt wird, wirklich wahr ist. Trotz des nüchternen Zugangs über die Fakten, berühren und erschüttern die Auszüge aus Politkowskajas Büchern und die nacherzählten Dialoge – etwa mit einem abgebrühten 19-jährigen russischen Soldaten – bis aufs Tiefste. Wie eine einzige Schauspielerin diese tragische Geschichte auf der Bühne zum Leben erwecken kann, ist erstaunlich.

Ein Jahr nach der Ermordung schrieb der italienische Autor Stefano Massini diesen Monolog, der nun in einer Übersetzung in Zürich im Sogar Theater seine Erstaufführung feierte. Das Thema ist auch nach zehn Jahren noch hochaktuell. Kaum zwei Wochen ist es her, dass die regierungskritische Journalistin Daphne Caruana Galizia in Malta mit einer Autobombe ermordet wurde. Es sind Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit, die nicht zuletzt mit dem Rechtsrutsch in Europa eine unangenehme Dringlichkeit bekommen.

Im Interview nach der Aufführung erzählt die Schauspielerin Kornelia Lüdorff wie viel Respekt sie vor dieser Rolle hatte. Sie fragte sich, wie man einer solch mutigen Frau überhaupt gerecht werden könne. Es sei ihr schwer gefallen, nicht zu emotional an den Stoff heranzugehen, der bei den anfänglichen Proben immer wieder ins Dramatische zu kippen drohte. «Weg mit den Emotionen!», rief dann die Regisseurin Jennifer Whigham. Nicht die Schauspielerin dürfe sich die Erschütterung anmerken lassen, es sei vielmehr ihre Aufgabe, diese durch nüchterne Fakten beim Zuschauer hervorzulocken. Das Theater gibt solch politisch dringlichem Stoff einen Raum, indem sich der Zuschauer der Geschichte öffnet und ein nachhaltiger Eindruck zurück bleibt.

Genau dies ist im intimen Rahmen des kleinen Sogar Theaters an diesem Abend besonders zu spüren. Die anfängliche Erschütterung der Zuschauer von diesem schweren Thema weicht angeregten Diskussionen an der Bar. Anna Politowskaja lebt somit nicht nur im Theaterstück, sondern nun auch in der Erinnerung daran weiter.