Knöcherne Lieder – Bunte Figuren

Noch vor wenigen Monaten haben wir uns nach Martina Clavadetschers Auftritt in Solothurn nach erklärenden Worten gesehnt. Es gab keine Fragen, nur ein hypnotisiertes Publikum, das verstört auf seinen Stühlen zurückgelassen wurde. Liess auch das verspätete Eintreffen der begleitenden Musikerin Isa Wiss dem Kulturhaus-Helferei die Gelegenheit, die Autorin der Knochenlieder vorweg für ein kurzes Interview in Anspruch zu nehmen – aus der Höhle locken liess sich das Ungetüm nicht, das so mancher hinter besagten Gesängen schlummern glaubt. Das Auditorium musste sich mit einer klanglosen Inhaltsangabe eines vorwiegend melodiösen Textes und einer weiteren Frage zum Städtchen Brunnen SZ abfinden – das ist nicht unbedingt das, was uns an diesem Text die Haare zu Berge stehen lässt.

Umso schlagender trifft die Performance. Knöchern ächzt ein unsauber angestrichenes Cello, schallt rustikal angestimmter Gesang durch kahl geschnittene Texte, in denen urzeitliche Beständigkeit und postmoderner Zerfall zusammenprallen. Anadiplosen, Paronomasien, Alliterationen und Diaphern führen durch einen archaisch wuchernden Garten rhetorischer Simplizität. «Wortwiederholung wird zum Weg über die Wiese»; «einfallslose Form folgt hier einfallsloser Form» (den find‘ ich besonders hübsch). Und als geschehe es beiläufig, klingen, weitaus häufiger als man es dem Zufall zutrauen will, hie und da ein altes äolisches Kolon oder anhaltende alternierende Passagen aus den Liedern auf.

Bereits das Manuskript der Knochenlieder gewann im Vorjahr den Literaturpreis der Marianne-und-Curt-Dienemann-Stiftung; das Buch wurde für den Schweizer Buchpreis nominiert.

Das grosse Lesungs-Bingo

Jedes Genre bringt seine typischen Merkmale mit sich. Das gilt für Musik, Literatur, Malerei – und auch für kulturelle Veranstaltungen. Wir haben ein paar Floskeln und peinliche Ereignisse zusammengetragen und eine Bingokarte daraus gemacht. Für alle, die einen zusätzlichen Ansporn suchen, bei den Lesungen genau aufzupassen.

Wer schafft fünf in einer Reihe? Fertige Fünfergruppen bitte in der Kommentarspalte mit Verweisen auf Ort und Zeit der Ereignisse angeben!

Julien Reimer, Carla Peca, Laura Clavadetscher, Simon Leuthold

 

Zürcher Liebende in der Älpli-Bar

Die Älpli-Bar im Herzen Zürichs ist bekannt für ihre Live-Darbietungen von Schweizer Volksmusik. Am ersten Tag von «Zürich liest» stand aber die Literatur im Vordergrund. Die beliebte Radiomoderatorin Regula «Regi» Sager las aus ihrem Buch «Zürcher Liebesgeschichten. Ein Stadtführer der besonderen Art». Die Volksmusik durfte natürlich trotzdem nicht fehlen, denn Regi Sager ist nicht nur Moderatorin und Autorin, sondern auch eine talentierte Sängerin. So sorgte sie zusammen mit dem Pianisten Stefan Stahel auch gleich selber für die musikalische Untermalung ihrer Lesung.

Als jeder seinen Platz in der sehr gut besuchten Älpli-Bar gefunden hatte, die legendäre Älpli-Milch ausgeschenkt war (ein Freund hat mir eindringlich davon abgeraten, diese Hausspezialität zu probieren, also bestellte ich nur eine Stange), griff Sagers Verleger pünktlich um 19 Uhr zum Mikrofon, um seine Autorin anzukünden – und nahm dabei die Überraschung vorweg, dass Sager passend zu ihren Texten auch ausschliesslich Zürcher Lieder singen werde.

Sager führte das Publikum durch die Zürcher Geschichte und erzählte von Richard Wagners ausserehelichem Schwärmen für seine Nachbarin auf dem grünen Hügel im Enge-Quartier, von Albert Einsteins Liebe zu einer hinkenden Mitstudentin am Polytechnikum, aber auch davon, wie Thomas Mann einen Kellner im Hotel Dolder anhimmelte und zum Abschluss, wie Huldrych Zwingli sich nach Rücksprache mit dem lieben Gott über das Zölibat hinwegsetzte. Dazwischen sang Sager die Lieder «Ich han en Schatz am schöne Zürisee» und «Himmelblaue Züri-Trolleybus».

Der Verleger rühmte Sager als eine der wenigen Autorinnen, die neben dem Schreiben auch gut vorlesen können – wenig verwunderlich angesichts der Tatsache, dass man es mit einer der bekanntesten Schweizer Radiomoderatorinnen zu tun hat. Sager las ihre Texte souverän und unterhaltsam, so dass ihr die volle Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer gewiss war. Nur die etwas sehr forsche Bedienung, die das Aufnehmen von Bestellungen und das Einkassieren unbeirrt fortführte, störte das Erlebnis ein wenig. Aber vielleicht gehört das zum Älpli-Ambiente.