Ein kurzes Stelldichein

Der Zürcher Chreis Cheib ist im Niedergang. Wobei diese Aussage nur mit einer ausreichenden Prise Ironie zu geniessen ist. Denn eigentlich könnte sich ja jede Stadt glücklich schätzen,  ihren ehemals grössten Sündenpfuhl langsam in Richtung Szeneviertel gentrifiziert zu sehen.

Vor diesem Hintergrund mutet die Entscheidung, die Lesung aus Michèle Binswangers neuem Buch, Fremdgehen – Ein Handbuch für Frauen, im ehemaligen Stundenhotel Hotel Rothaus abzuhalten, dann doch als ziemlich bürgerliche Trockenübung an: Verrucht ja, aber bitte nicht schmutzig.

Bemüht verschämt wurde das Publikum auf das Zimmer geführt, wo die Autorin bereits auf dem Bett sass und das Licht schummrig gedämmt war. Während durch die offenen Fenstern das Krakeelen eines vom Leben Überforderten drang, nahm ein eher unbefriedigendes Vorleseerlebnis seinen Lauf. Steril wie das Zimmer, das in der Vergangenheit gewiss Schauplatz manchen Seitensprungs war Zeuge, doch nun durch eine karge Einrichtung, falschem Stuck und stickige Luft sich auszeichnete. Ziemlich lustlos las dann auch Frau Binswanger aus ihrem Buch vor, das die vielen Vorteile des Fremdgehens anpreist. Das Publikum erfuhr, wie überaus befreiend es sein kann, in Swingerclubs zu gehen, oder dass eine immer stärker um sich greifende Monogamie-Müdigkeit an der Existenzberechtigung der Schweizer Ehebetten sägt.

An und für sich wäre einem anregendem Abend ja nichts im Wege gestanden, um zu klären was Affären mit sexueller Befreiung und  Emanzipation zu tun haben. Dazu wäre jedoch zumindest ein Mindestmass an Interaktion zwischen Autorin und Publikum vonnöten gewesen. Stattdessen wurde man jedoch nach knapp 40 Minuten aus dem Zimmer hinauskomplimentiert und durfte auf der mässig besuchten Langstrasse noch ein wenig darüber sinnieren, was dieser Ausflug in ein literarisches Randgebiet denn nun eigentlich gebracht hat.

 

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Sascha Wisniewski

Sascha Wisniewski studiert in Zürich Geschichte und Deutsche Literatur. Lesen tut er viel und besonders gerne Sachen von John Steinbeck, Haruki Murakami und Walt Whitman. Nach Praktika bei Nagel & Kimche, Wallstein und dem Unionsverlag freut er sich wieder einmal hinter die Kulissen des Literaturbetriebs bei zu schauen.