Juhui – jemand stirbt und Frauen gibt es auch

Der Freitag neigt sich langsam seinem Ende zu, man hat viel erlebt und noch mehr gehört. Die Festivalbesucher_innen flanieren zwischen den Lesungen umher und nicht wenige finden sich im Uferbau wieder. Dort will das Duo Dietiker/Diller mit einer Mischung aus Spoken Word und Klangteppich das Publikum betören.

Pino Dietiker, der Aargauer Texter, und Jul Dillier, der Obwaldner Musiker, nennen ihr Oeuvre Planer und Flaneur. Vier Texte sollen das Zusammenspiel von exakter Planung von urbanen Räumen und das entspannte Flanieren und Sinnieren miteinander verbinden und Gegensätze aufheben.

Vielversprechend beginnt Dillier mit seinem E-Piano rhythmische Klänge in den dunklen Raum zu senden. Das Publikum ist bald umhüllt davon und es scheint nur natürlich, dass Dietiker beginnt, von einer Zugfahrt zu erzählen. Das Stück ist ein Wechselspiel zwischen Gedanken und Beobachtungen im Zug und einem Bericht über einen Vater, der es nie geschafft hat, das Eigenheim fertig zu stellen. „Er war ein Bauherr der nicht Hausherr werden konnte“, sagt Dietiker melancholisch.

Immer morbider werden die Bilder. Das Altglas im Keller wartet auf die Wiedergeburt, die Schuhe im Haus sind das Letzte, was ein Toter auszieht. Im Zug rasieren sich Menschen und gehen der Nagelpflege nach. „Unterwegs zu Hause“, zitiert Dietiker die Deutsche Bahn. Unaufgeregt endet das Stück, das grosse Fühlen hat nicht eingesetzt, obwohl das Duo alle Tasten bedient. Das Makabre, den Tod des Vaters, den Ekel beim Zugfahren. Zu emotionslos und monoton bleibt das Vortragen Dietikers und je länger, desto undeutlicher wird’s. Mitreissende Spoken Word Performances sehen anders aus.

Mit dem nächsten und titelgebenden Stück „Planer und Flaneur“ setzt sich die Qualitätsabwärtsspirale der Aufführung fort. Dietiker erzählt von Legotürmen und Städten, Wachstumsblasen und Bettlern. Dabei bedient er sich allerlei überverwendeter popkultureller Referenzen wie „Houston, we have a problem!“, Super Mario und ganz vielen weissen Schafen mit einem Schwarzen dabei. Das irritiert und es ist beinahe unmöglich, dem Stück zu folgen, ohne sich immer wieder daran zu stossen. Es tauchen ebenfalls erste Repetitionen auf. Wiederum spielt er mit makabren Bildern und wiederum ist der Tod prominent platziert. Menschen bringen sich um in Grossstädten. Erste Besuchende beginnen nun den Uferbau zu verlassen.

Das dritte Stück behandelt die „Éoliennes“ von Saint- Imier. Die Riesenwindräder drehen sich auf dem Berge und der Held fährt hinauf zu ihnen. Wie zu erwarten, verwendet Dietiker auch hier die offensichtlichsten Metaphern. Don Quixote de la Mancha und die Himmelfahrtsthematik werden regelrecht ausgeschlachtet. Der Held wurde versetzt und sucht Trost bei den „Éoliennes“. Versetzt wurde er von einer Frau, die auch noch Spanisch sein muss und dazu Simone de Beauvoir liest. Die Diskreditierung der feministischen Spanierin misslingt Dietiker, der versucht, ihre Oberflächlichkeit durch ihren Tindergebrauch und Schuhbesitz zu entlarven. 2018 sollten selbstbestimmte, sexpositive Frauen auch im Spoken Word Universum angekommen sein. Wiederum muss jemand sterben im Stück. Wiederum ist es Suizid. Weitere Besuchende verlassen den Raum.

Jetzt wäre die Vorstellung eigentlich fertig – doch das Duo lässt sich noch zu einer Zugabe hinreissen. Das hätten sie lieber gelassen…

Wir sind wieder in der Stadt. Doch die Stadt ist eine Frau. Eine Frau, die man(n) bewandern kann und brauchen darf. In dieser Stadt tanzen Seiltänzer auf den Stromkabeln der Trolleybusse, die „in Schlafzimmer alleinstehender Frauen eindringen.“ Das Grundwasser der Stadt kommt natürlich aus den steinernen Brüsten der Frau und muss unglaublich hart sein. Es stapeln sich Frauentorsos am Strassenrand, die bei Brand Wasser spritzen. Die Strasse ist gespickt von „Warzenhöfen“. Was man ebenfalls in dieser Stadt finden kann, sind „mundgerechte Wurfgeschosse“ (sic!). Das sind weisse, spermienähnliche Kaugummiflecken am Boden. Ein Wunder, dass die Kaugummis nicht auch noch irgendwo in einem vaginalen Loch der Stadt verschwinden. Ungefragt natürlich. Immerhin hat sich in diesem Stück niemand umgebracht.

Erleichtert verlassen wir Besuchenden den dunklen Raum und kehren in die aufgeklärte Welt zurück.

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