Niko Stoifberg: Dort

Niko Stoifberg: Dort

In seinem Debütroman „Dort“ geht der Luzerner Niko Stoifberg der Frage nach, ob man andere für das eigene Glück ins Unglück stürzen darf. Glücklicherweise bleibt er dort nicht stehen und wendet sich abgründigeren Fragen zu.

Sebi, gefragter Gärtner, steht mit seinem Konzept Nature directe kurz vor dem internationalen Durchbruch. Seine bestechend einfache Idee, durch Holzstege die angrenzende Natur mit den umliegenden Häusern zu verbinden, trifft den minimalistischen Zeitgeist. Wie Sebi, Sohn eines Militärpiloten, kommt auch Lydia aus bürgerlichem Haus. Ihre Mutter ist Hotelier und ihr verstorbener Vater war angesehener Architekt. Sie lebt im Villenviertel der Stadt und verfolgt ein ähnliches Projekt wie Sebi, nur in einem anderen Betätigungsfeld: Sie fotografiert beruflich rohe Nahrungsmittel. Doch die Ruhe der geglätteten Lebensentwürfe (#minimalism) beider Hauptfiguren wird schon bald empfindlich gestört.

Eines Nachmittags sieht er sie zufällig und ist sich sicher: „Sie ist es, sie halt mir gefehlt“. Er geht ihr hinterher und schubst, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, ihren kleinen Bruder in den See, nur um ihn dann gleich zu retten. Doch sein Rettungsversuch misslingt. Zwar ist Lydia Sebi dankbar und sie nähern sich auch an, doch lastet die Schuld schwer auf ihm. In einem unbedachten Moment deutet er der falschen Person seine Tat an, was ungeahnte Konsequenzen nach sich zieht. [Den Absatz würde ich wesentlich kürzer halten, also so sehr raffen wie möglich.]

An dieser Stelle mehr über die Handlung preiszugeben, käme einem Verrat an der ebenso überraschenden wie sorgfältig durchkonzipierten Dramaturgie des Buches gleich. Soviel sei jedoch gesagt: Die Handlung des Thrillers, in welcher der unbedachte Stoss ins Wasser bloss den Anfang einer Reihe von Wendung und Zuspitzungen bildet, pendelt rasant hin und her zwischen Alptraum und alptraumhaftem Wachzustand. Immer wieder stellt Sebi sich die Frage: „Träume ich?“. Es folgen ein Abstieg ins Innere eines Bären, eine Bunkerinternierung sowie Begegnungen mit aussätzigen ArbeiterInnen.

So, wie sich in der Handlung Unergründliches und Irrationalitäten pausenlos aneinanderreihen, so nimmt sich auch Stoifbergs Sprache aus. Ob in Dialogen oder Beschreibungen: Von beschönigter und minimalistischer Nature directe kaum eine Spur mehr, vielmehr überlagern sich die Parataxen. Ausrufe, atemlose Gedankenströme und hämisches Gelächter unterbinden moralische Kontemplation über Sebis Tat und verweisen auf Tieferliegendes. Die vorangestellte Frage, ob man andere für das eigene Glück ins Unglück stürzen darf, wird sodann durch die Frage ersetzt, ob man denn überhaupt „Herr ist im eigenen Hause“ sei. [Das ist jetzt etwas sehr dicht geworden, eventuell noch etwas klarer ausführen hier.]

Wie das Testimonial des fröhlichen Ratgeber-Erfolgsautors Rolf Dobelli auf dem Umschlag des Buches eine falsche Fährte legt, so wird glücklicherweise die Frage nach Schuld und Sühne unterlegt von grundlegenden Fragen nach dem Unbewussten und der dunklen Seite der menschlichen Psyche. [Das driftet jetzt leicht in die Phrase, bitte etwas präziser…] Und genau Letzteres ist es, was dieses Buch radikal und lesenswert macht.

Diskussion (1)

  1. ptheis sagt:

    Lieber Dino,

    das ist für den ersten Versuch schon sehr, sehr gut, im Grunde eine fertige Rezension, zu der man gar nicht so viel anfügen muss. Dann aber doch einiges Wenige: Gestalte die Inhaltszusammenfassung am Anfang etwas knapper, raffe also die Handlung mehr. Interessanter sind hier Struktur und Sprachgestaltung, also die Abweichung vom handelsüblichen Thriller. Wenn es um das Unbewusste geht, bestimme die Zusammenhänge genau, der Begriff ist schwer besetzt, er wird schnell zur Totschlagphrase. Und die Klappe mit Dobelli muss man nicht zwingend erwähnen, man könnte den Absatz am Ende noch ein wenig überarbeiten…
    Sonst aber: Chapeau.

    Herzlich,
    Philipp

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