Mord mit Morf, Musik und Hund

Die Stimmung ist gut, der Platz beengt, als die Krimiautorin Isabel Morf am Donnerstagabend in der Buchhandlung Bodmer aus ihren Werken vorliest. Direkt neben den Kriminalromanen im Regal lässt sie die Figuren aus einer Kurzgeschichte und ihrem neuen Roman Selbsanft lebendig werden. Mit Hörbuchstimme, unterstützt von passender Mimik und Gestik, erzählt Morf in der Kurzgeschichte von Cassandra Buchstab, einer mittelmässig erfolgreichen Krimiautorin. Gebannte Stille, immer wieder unterbrochen von kurzen Lachern, als Buchstab vom perfekten Mord berichtet, den sie begangen hat. Oder sollte man sagen, der ihr widerfahren ist? Denn eher zufällig wird Buchstab zu einer mordenden Krimiautorin, deren Bücher sich durch den Vorfall viel besser verkaufen. Nach dieser gelungenen Pointe wechselt Morf zur Premierenlesung ihres aktuellen Romans Selbsanft, der im Glanerland spielt. In Auszügen begleitet das Publikum Kommissar Melchior Zwicki zu seinen Ermittlungen, nachdem ein Toter am Selbsanft gefunden wurde. Wie bei den Kurzgeschichten zuvor freut sich das Publikum über die feine Ironie in Morfs Text und ihre überzeugende Leseweise. Atmosphärisch untermalt werden diese Schauergeschichten von Beat de Roche, der sich trotz vielversprechender Karriere als Strassenmusikant für einen «richtigen» Beruf (Arzt) entschied, und nun seiner Halszither geheimnisvolle Klänge entlockt.

Im Anschluss an die Lesung über ihre Arbeitsweise befragt, sagt Morf im Hinblick auf ihren neuen Roman: «Ich bin im Glarnerland aufgewachsen und wollte immer mal einen Krimi schreiben, der dort spielt. Der Selbsanft sollte auch vorkommen. Was mache ich? Ich lege einen Toten an den Selbsanft.» Morf erklärt auch, dass sie ihre Geschichten beim Schreiben entwickle. «Vorher weiss ich nur das Skelett der Handlung: wer bringt wen warum um. Im Schreiben füge ich das Fleisch an den Knochen hinzu.» So endet die Lesung und das Publikum strebt dem Apéro zu, damit es nicht selbst vom Fleisch fällt.

Isabel Morf beim anschliessenden Signieren

Ist die alte Dame zurück?

Seine Ausgangssituation war nicht einfach. Das Buch, aus dem er liest, ist nicht mehr ganz neu. Das Publikum ist mit 22 Nasen eher spärlich bemessen. Und die Moderatorin gibt gleich zu Beginn unverblümt zu, dass sie sein Buch immer noch nicht gelesen habe. Lorenz Langenegger macht das Beste daraus und liest drei Passagen aus «Dorffrieden».

Seine Hauptfigur ist der alternde Dorfpolizist Wattenhofer, der die nicht weiter definierte «kleine Seegemeinde» seit seiner Geburt nie verlassen hat und ein bisschen neidisch ist auf seinen Sohn, der ein rebellisches Leben führt. Sein Leben scheint tatsächlich wie in Watte gepackt. Die Probleme, um die sich der Polizist kümmern muss, sind allesamt lächerlich: Unordnung beim Fahrradständer, die sich als einzelne weggeworfene Zigarettenschachtel entpuppt, und – das höchste der Gefühle – die Autobahneinfahrt muss wegen des Chinesischen Wirtschaftsministers für fünf Minuten gesperrt werden. In besagter Zigarettenschachtel findet Wattenhofer einen Schlüssel, und er begibt sich, plötzlich getrieben wie in einem Fernsehkrimi, auf die Suche nach Hinweisen, was es mit diesem Schlüssel auf sich hat. Und das, obwohl er Fernsehkrimis eigentlich gar nicht mag – den «Tatort» ausgenommen, weil er sich mit den Figuren dort identifizieren kann.

Auch an anderen Bezügen mangelt es nicht: Gegenwärtige politische Situationen (Anti-AKW-Demo, Freihandelsabkommen mit China, China-Tibet-Konflikt) werden kurz und meist leicht ironisch angesprochen, charakteristische Krimi-Elemente werden dadurch, dass eben genau nichts geschieht, in etwas Lächerliches verkehrt, und eine Fabrikantenwitwe, die enorm viel Geld hat und deren ganzes Wesen bei jeder Bewegung «Dürrenmatt!» schreit, hält alle Fäden des Kaffs in der Hand. Nicht auszuschliessen, dass sie auch Wattenhofers «Kriminalfall» von A bis Z inszeniert hat.

Langenegger beweist ein feines Gespür für die Langweiligkeiten des Dorflebens, für die heimlichen Sehnsüchte seiner Figuren und einen scharfen Blick fürs Detail. Der Eindruck, den sein Buch hinterlässt: Langsam, aber kurzweilig, vielleicht etwas überladen mit Anspielungen.

Der 37-jährige Lorenz Langenegger kam durch seine Tätigkeit als Dramatiker zu internationaler Beachtung, Stücke von ihm gewannen bereits diverse Preise, unter anderem bei der Schaubühne in Berlin. In jüngerer Vergangenheit war er am Drehbuch des Luzerner «Tatorts» beteiligt. «Dorffrieden» (Jung und Jung, Salzburg/Wien 2016) ist sein dritter Roman.

Für uns bei «Zürich liest»:
Meret Mendelin

Um ihr Studienfach Kulturanalyse so richtig auszuleben, arbeitet Meret Mendelin an der Abendkasse eines Theaters und als Praktikantin in einem Kino. Nun möchte sie auch noch ihrem Nebenfach Germanistik die Ehre erweisen und taucht bei «Zürich liest» auf verschiedenste Arten in die Literaturwelt ein: Spazierend auf den Spuren Robert Walsers, einer nicht umerziehbaren Frau lauschend im Sogar Theater und im Tram fahrend mit dem Alt-Achtundsechziger Willi Wottreng. Besonders gespannt ist sie ausserdem darauf, weshalb Eveline Hasler nur noch Engelsgeschichten und Charles Lewinsky auf einmal Krimis schreibt.

Für uns bei «Zürich liest»:
Lukas Keller

Lukas Keller studiert in Zürich Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft. Inspiration findet er an den verschiedensten Orten. Bei Max Frisch und Frank Miller. Bei Bob Dylan und Kanye West. Bei Bojack Horseman und Fargo. Im Schauspielhaus und beim Word Wrestling Entertainment. Und wenn Zürich liest, dann liest er selbstverständlich mit.

Lukas schreibt auch gerne selber. Nicht viel, aber gerne. Am liebsten auf seiner Hermes Baby. Das Hämmern der Tasten ist für ihn entspannender als das Rauschen des Meers.

Tram fährt er eigentlich nicht so gerne, denn seine langen Beine kann er nur schlecht in die Sitzreihen quetschen, aber wenn im Tram Krimis gelesen werden, macht er eine Ausnahme.