Die Neuerscheinungen von femscript.ch


Die fünf Bücher, aus denen gleich gelesen wird, haben nicht viel gemeinsam. Sie sind aber alle innerhalb des letzten Jahres erschienen und wurden alle von Frauen aus dem Netzwerk femscript.ch geschrieben.

Ich betrete den Raum im 3. Stock der Pestalozzi-Bibliothek Altstadt und finde auf meinem Stuhl ein kleines Magazin mit der Aufschrift femSCRIPT Nr.18 vor. Die Zeitschrift des bereits über 30-jährigen Netzwerks erscheint zweimal im Jahr und beinhaltet Kurzgeschichten und Lyrik der Autorinnen von femscript.ch. Fast alle Stühle sind besetzt, alle von Frauen. Nach einer kurzen Begrüssung werden die zwei Moderatorinnen, Esther Vögeli und Claudia Schwarzenbach, vorgestellt, die sogleich eine der fünf anwesenden Autorinnen nach der anderen zum Mikrofon bitten, jeder ein paar Fragen stellen und sie bitten, aus ihren jeweiligen Büchern zu lesen.

DAS Bettelarmband – Monica Heinz

Als erste tritt Monica Heinz mit ihrem Roman Das Bettelarmband nach vorne.
Das Interview mit den sehr allgemein gehaltenen Fragen wirkt etwas schleppend, aber aller Anfang ist ja bekanntlich schwer. Anschliessend liest Monica Heinz den Prolog und den Beginn des ersten Kapitels ihres Buches. Darin wird der Besuch der Protagonistin Lea beim Notar geschildert, von dem sie das Erbe ihrer kürzlich verstorbenen Grossmutter entgegen nimmt. Dieses Erbe besteht aus einem grossen Atelierspiegel, einer Kiste mit Tagebüchern und dem titelgebenden Bettelarmband. Im gelesenen Ausschnitt wird die Handlung des Buches klar ausgelegt, sowie die schwierige Beziehung mit der Mutter Alma dargestellt. Der Protagonistin scheint bewusst zu sein, dass ihre Gedanken gelesen werden, da sehr viele Hintergrundinformationen direkt zu Beginn erklärt werden. Auf diese leicht plumpe Art und Weise geht der Roman weiter, indem seifenoperesque die familiäre Vergangenheit aufgerollt wird.

Monica Heinz und Esther Vögeli
unlebbar – Franziska Streun

Als zweite setzt sich Franziska Streun hinter das Mikrofon und erzählt vom Zusammenhang zwischen ihrem 2013 erschienenen Roman Mordfall Gyger und dem vor kurzem erschienenen Buch unlebbar. Die mit dem Literaturpreis der Stadt Thun ausgezeichnete Autorin hat sich die Enttabuisierung des Themas Kindermissbrauch und Pädophilie vorgenommen und ihre Bücher sollen einen Anfang darstellen. Ihr neuester Roman spielt im Jahr 2022 – Der 75-jährige Fred bricht in seiner Wohnung zusammen. Der Grund dafür ist seiner Meinung nach die Schwere seines schlechten Gewissens, denn: Er war dabei, als in den 1970er Jahren ein 14-jähriger Junge ermordet wurde. Die zweite Protagonistin Nicole, Freds Nachbarin, ruft den Notarzt und kommt dadurch mit Fred in Kontakt. Nicole leidet an Panikattacken, woher diese kommen ist zu Beginn der Geschichte noch unklar. Franziska Streun liest zwei Ausschnitte aus der Perspektive von Nicole, in denen deren psychische Verfassung erfassbar wird.

Durchs Schweigen stärke ich den Täter.

Franziska Streun bei Zürich liest

Streun hat sich ausgiebig mit dem Kindermord von 1973 befasst und lange recherchiert. Nach ihrem Buch von 2013 will sie in unlebbar nun die Balance zwischen dem Trauma der Angehörigen und der Menschlichkeit des Täters finden. Im Gespräch wird die Dringlichkeit der Thematik deutlich, die Streun vermitteln möchte. Leider geht diese in den gewählten Auszügen etwas verloren.

Das Ausgefallene Jahr – Katja Fusek

Jetzt setzt sich Katja Fusek mit Das ausgefallene Jahr vor das Publikum. Die in Prag geborene Autorin ist aus Basel angereist und liest eine Kurzgeschichte aus dem Buch, indem neben ihren Kurzgeschichten auch solche von drei männlichen Autoren zu finden sind. Der Titel des Buches bezieht sich auf das Jahr 2020 und wurde gewählt, da die meisten der darin enthaltenen Erzählungen 2020 bereits einmal erschienen sind. Nachdem die Riehener Zeitung feststellte, dass sie ausserhalb der aktuellen Massnahmen nicht viel Material hatte, die Seiten zu füllen, wurden die 3 Autor*innen Katja Fusek, Wolfgang Bortlik und Valentin Herzog angefragt. Sogleich erschien jede Woche eine Geschichte, die nun mit einigen weiteren ergänzt zum vorliegenden Buch wurden.

Der Text, den Fusek liest, trägt den Titel Lebensschule und sei einer der persönlichsten, der im Buch zu finden ist. Die Inspiration dafür kommt aus der Tätigkeit Fuseks als Sprachlehrerin in der Erwachsenenbildung, wo sie einer Frau aus Eritrea begegnet. Die Erzählung ist tief berührend, unwillkürlich hält man den Atem an als die Frau erzählt, sie habe fünf Kinder aber drei seien tot und ihre zwei überlebenden Töchter seien nicht in der Schweiz. Der vermeintliche Analphabetismus ihrer Schülerin, lernt Fusek, stammt daher, dass die Landessprachen von Eritrea (Tigrinya und Arabisch) gar nicht das lateinische Alphabet brauchen. Der Status F, den die Eritreerin ihrer Lehrerin zeigt, wird ebenfalls erklärt und zeigt die trostlose Situation von zahlreichen Flüchtlingen exemplarisch auf.

Drei tot – Peng! Peng! Soldat

Die Protagonistin in Katja Fuseks Kurzgeschichte

Über die anderen Kurzgeschichten erfahren wir nichts, die Sammlung verspricht aber eine breite Mischung an Themen, da alle Autor*innen ihre Eigenheiten mitbringen.

Zeichen an der Wand – Hannelore Dietrich

Der neueste Roman von Hannelore Dietrich ist ihr erster, der in der Schweiz spielt Die Autorin wohnt zwar seit 1987 mit ihrer Familie in Bern, scherzt aber dass sie erst jetzt «auch den innerlichen Umzug geschafft» habe. Ihre bisherigen Werke spielten nämlich tatsächlich alle in Deutschland. Der Plot von Zeichen an der Wand sehr kurz gefasst sei: «Man bekommt etwas Kurioses, Seltsames mit und beschönigt das aber, um sich zu beruhigen.» Die Protagonistin Charlotte merkt, wie sich ihr Mann Arthur mit dem Alter verändert. Er hat immer wie mehr eine irrationale Angst vor einer salafistischen Gruppe aus Lobeck, vermutet Terroristen hinter jeder Ecke und wird von Charlotte beim nächtlichen Graben im Garten erwischt. Charlotte scheint sehr naiv all diese offensichtlichen Anzeichen von Wahnsinn gelassen zu nehmen oder gar zu ignorieren. Das ältere Paar zieht gemeinsam ihre kleine Enkelin auf, die ihre Zeit am liebsten mit einem Nachbarskind verbringt, doch auch dem Nachbar gegenüber ist Arthur immer wie misstrauischer, bis sich ein schreckliches Drama in der sonst so ruhigen Quartierstrasse in Bern abspielt. Hannelore Dietrich weiss das Interesse des Publikums zu wecken und verlässt so das Mikrofon mit einem zufriedenen Grinsen.

Hannelore Dietrich und Claudia Schwarzenbach im Gespräch
Das Korsett – Ruth Weber

Als letzte kommt Ruth Weber aus dem Kanton Appenzell-Ausserrhoden nach vorne. Die Pflegefrau hat viele autobiographische Details in ihrem neuen Roman eingearbeitet. So ist auch ihre eigene Grossmutter mit 106 Jahren verstorben. Im Roman versucht die Enkelin Lena, das Leben ihrer Grossmutter im Nachhinein auszufüllen. Mithilfe von Rückblicken in Lenas frühe Kindheit in den 80er Jahren wird Anna zu einer facettenreichen Frau, die viel (mit-)erlebt hat. Nebst der Frage «Was bleibt von einem Menschen, wenn er*sie stirbt aber nie etwas erzählt hat und nie gefragt wurde?» spielt auch das Thema der Kinderlähmung eine Rolle, sowie die grossen Ereignisse und Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts.

Ruth Weber bei Zürich liest

Ruth Weber tritt als bodenständige Frau auf, die bescheiden über ihren Roman spricht. Die Eindrücke der vorherigen Bücher machen es nicht einfach, sich nach gut 80 Minuten nochmals zu konzentrieren. Weber stellt jedoch souverän die Verbindung zum Publikum ein letztes Mal her.

Mit dem Tod einer Grossmutter beginnt der Abend, und mit dem Tod einer anderen Grossmutter schliesst sich die Veranstaltung. Es bleibt einzig die Entscheidung, welches der fünf Bücher man als nächstes lesen soll.

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