Viva la libertà!


Von Emanuele Jannibelli

Land, wo die Zitronen blühn, Heimatland der Oper, Wiege des organisierten Verbrechens, Ursprungsland des Faschismus, politischer Unruheherd Europas, der lebendige Beweis, das Gott existiert – Land der Freiheit? Egal, wofür man sich entscheidet: Italien regt unsere Fantasie auf ungeahnte Art und Weise an, lässt niemanden kalt. 

Nicht verwunderlich also, dass am literarischen-musikalischen Abend im Rahmen von «züri liest» in der Provinz, im gewiss lieblichen und literarisch vorbelasteten aber doch recht abgelegenen Stäfa viele Interessierte den Weg ins Haus «Zur alten Krone» fanden, über das angeblich der Geist des prominenteste germanischen Italien-Liebhabers schwebt. 

Reinhold Joppich las Texte von italienischen Autoren zum Thema Freiheit, Mario Di Leo sang einige dazu passende Lieder aus dem Umkreis der resistenza, der italienischen Widerstandsbewegung während des zweiten Weltkrieges. Eingeladen hatte die Buchhandlung Bellini, die nicht nur einen so wunderbar italienisch-musikalischen Namen trägt, sondern auch jüngst zur besten Buchhandlung der Schweiz auserkoren wurde (veramente…!). Passender hätte auch das Datum Nichtsein können, jährt sich doch in diesen Tagen der Marsch auf Rom, mit dem Mussolini seine Herrschaft in Italien erzwang, zum hundertsten Mal 

Viva la libertà: Italien als Land der Freiheit also. Tönt gut, ist aber eigentlich gar nicht so selbstverständlich bei einer Epoche, wo die Freiheit des Einzelnen so stark eingeschränkt war wie kaum je zuvor und danach. Und doch verbinden wir «Faschismus», anders als beim Nationalsozialismus, gleich mit «Antifaschismus». 

Ja, die Gegensätze: Es war, bei aller Harmonie, ein dialektischer Abend: nicht nur Freiheit versus Faschismus, sondern auch Musik versus Text, Deutsch (gelesen) versus Italienisch (gesungen), damals versus heute. Das Heute war dabei mit drei Namen vertreten, die man lieber nicht aussprechen möchte, weil ihnen damit zuviel der Ehre getan würde (MBS; die Anfangsbuchstaben sollen reichen). Reinhold Joppich las starke Texte von bekannten Autoren wie Ignazio Silone oder Dario Fò und völlig unbekannten wie Andrea Camiglieri oder Stefano Benni mit starker, suggestiver Stimme und grosser Präsenz. Ganz verinnerlicht, deswegen nicht minder stark, der musikalische Vortrag von Mario di Leo; auch wieder so ein Gegensatz.

Wenn Italiener tatsächlich spontane Menschen mit grossem Improvisationstalent sind, (und das sind sie doch, oder?) wirkte der Abend mit seiner Spontaneität sehr italienisch. Und improvisiert wurde übrigens auch, und zwar von beiden Vortragenden, dem Italiener und dem Deutschen, womit wir wieder bei einem Gegensatz wären, der also gar keiner ist. Italien und Deutschland schön vereint, ganz so, wie es Vater Goethe schon sah; und mittendrin die Schweiz… 

Und ja, Mario di Leo sang tatsächlich auch das berühmteste aller Partisanenlieder, dasjenige, an das alle zuerst denken, freilich in einer musikalisch modernisierten Version: «Una mattina, mi sono alzato, o bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao».


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