Über Männlichkeiten, Humor und gossip


Es ist Donnerstag Abend und ich sitze im Saal von Karl*a der*die Grosse, um dem Gespräch von Marcy Goldberg und JJ Bola zu dessen neusten Roman zu lauschen. Für eine Literaturveranstaltung ist das Publikum ungewohnt jung. Nicht zuletzt dürfte das an dem breit grinsenden Gast mit den coolen Sneakers liegen.

Am heutigen Abend wird es um Männlichkeiten, psychische Gesundheit, Heimat(losigkeit) und Geld gehen, wie die Moderatorin Marcy Goldberg zu Beginn vorwegnimmt. Zu ihrer Rechten sitzt JJ Bola, Menschenrechtsaktivist, Hobbybasketballer und Erfolgsautor aus London. 

Sein neuster Roman “weiter atmen” begleitet die Hauptfigur Michael Kabongo auf seiner vielleicht letzten Reise von London nach San Francisco. Er fühlt sich nirgends zu Hause; er fühlt sich überall als Aussenseiter. Schon jahrelang gequält von Depressionen, fasst er einen Entscheid: Geht sein Geld aus, wird er sich das Leben nehmen.  

«Ich habe gekündigt. Ich nehme mein ganzes Erspartes –$ 9021 –, und wenn es aufgebraucht ist, bringe ich mich um.» 

Ausschnitt aus JJ Bolas Roman «weiter atmen»

Mit diesem Satz beginnt JJ Bolas Roman und – unmittelbar nach der Autoren-Vorstellung – auch die Lesung. Der Bestseller-Autor liest mit seinem Londoner Akzent vor, ein geschliffenes Britisch-Englisch und eine ruhige Stimme hat er. Aus der deutschen Übersetzung vom Kampa Verlag liest der Schauspieler Jürg Plüss, der zu Goldbergs Linken sitzt und bald als Krimi-Bösewicht im deutschen Fernsehen zu sehen sein wird.

Jürg Plüss, Marcy Goldberg und JJ Bola (von links nach rechts) im Gespräch zu «weiter atmen»

Soziale Ungerechtigkeit und Geldnot würden wie ein Damoklesschwert über Michael hängen, kommentiert JJ Bola die vorgelesene Passage. Er fühle sich als älterer Bruder seiner Hauptfigur, mache sich Sorgen und verstehe oft nicht, warum Michael tut, was er tut. «Why are you doing this?»(zu Deutsch: «Warum machst du das?»), fragt der Autor seine Hauptfigur. Das Publikum lacht.

JJ Bola begegnet den Zuhörenden mit viel Charme, Coolness, lebhafter Gestik und Humor. Es kommt also nicht von ungefähr, dass viele Leute sich dem Londoner anvertrauen. JJ Bola erzählt, wie es etwa in Umkleidekabinen oder an einer Party zu solchen Gesprächen kommt. Orte, wo man vergisst, dass man nicht nur zu zweit ist. Dann erzählen ihm ein Mitspieler oder eine Partygästin etwas Persönliches. Schliesslich stellt JJ Bola eine rhetorische Frage in die Runde: Ist es nicht einfacher, sich Fremden anzuvertrauen?

So lernt der Schriftsteller viele Geschichten kennen, was sich in seinem Schreiben zeige, wie Goldberg anmerkt. Neben seiner Aufgeschlossenheit nutzt er auch seine Lust am Beobachten zum Schreiben. Besonders gerne beobachte er streitende Pärchen, sagt JJ Bola mit einem Schmunzeln. 

Nun liest Jürg Plüss vor. Während der Lektüre wird viel gelacht. Wie dunkle Themen des Romans wie psychische Krankheit und soziale Ungerechtigkeiten mit so viel Humor zusammengehen würden, fragt die Moderatorin Goldberg. Der Autor lächelt verständnisvoll und antwortet: Humor sei nichts anderes als ein coping mechanism, also Strategien, mit denen Menschen mit schwierigen Situationen – beispielsweise Stress oder Trauma – umgehen.

In spezifischen Kontexten sei es darum ok, Witze über ebendiese Situationen zu machen. JJ Bola nennt dafür ein Beispiel, indem er sich an seine Schulzeit erinnert. In seiner Klasse gab es viele Kinder ohne Papiere, die Gefahr liefen, aus dem Land abgeschoben zu werden. Fehlte ein Kind ohne Papiere in der Schule, kam der Spruch: «Well, she must have been deported.» (zu Deutsch: «Nun, sie muss abgeschoben worden sein.») Und alle lachten. 

Kurz vor dem Schluss fokussiert Goldberg das Gespräch auf das Thema Männlichkeiten. JJ Bola hat dazu viel zu sagen. Mit seinem Sachbuch «Sei kein Mann» erlangte er weltweite Bekanntheit. Darin hinterfragt und kritisiert er traditionelle Männlichkeit. Wer männlich sozialisiert wird, dem fällt es schwerer, Liebe zu geben und anzunehmen, so JJ Bola.

So falle es beispielsweise vielen Männern schwer, über Gefühle zu sprechen und so auch Michael, der Protagonist. Im Verlauf seiner Reise versucht er immer wieder aus sich heraus zu kommen und offen über seine Gefühle zu sprechen. Leider wird er aber jedes Mal zurückgewiesen, weshalb er sich zurückzieht und es schliesslich nicht mehr versucht.

Immer wieder wird deutlich, wie einleuchtend JJ Bola komplexe Theorien mit lebhaften Beispielen veranschaulicht: Es gäbe einen klaren Zusammenhang zwischen traditioneller Männlichkeit und Gewalt. Wer stets lerne, konfrontativ zu sein, dem fällt es schwerer zu deeskalieren. Oder wie JJ Bola es auf den Punkt bringt:

«Who can calm down a man? Right, a woman.» 

(zu Deutsch: Wer kann einen Mann beruhigen? Richtig, eine Frau.)

JJ Bola bei Zürich Liest

Zum Abschluss fragt JJ Bola sich, warum wir gossip so lieben. Irgendwie sind Schriftsteller*innen auf Drama und Konflikte angewiesen, um ihre Geschichten zu erzählen. Denn wer tratscht schon über glückliche Liebesbeziehungen? Das wäre doch langweilig.

Lässig lehnt sich der Autor zurück und verkündet, dass er irgendwann einen Liebesroman schreiben möchte. Einen Liebesroman, in dem die Liebenden einfach nur so richtig schön verliebt sind und glücklich zusammenleben. Ich freue mich schon jetzt auf die Lektüre – und gleichzeitig frage ich mich, ob ich das Buch zu Ende lesen würde.


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