Unauffälliges Vorstadthäuschen – was steckt eigentlich dahinter?

Unauffälliges Vorstadthäuschen – was steckt eigentlich dahinter?

Vorstadthölle revisited

 

Simone Meiers neuer Roman „Kuss“ spielt mit den Tabus von Beziehungen und den Wertesystemen unserer Gesellschaft. Ein kontroverses Buch wurde hier verfasst, bei dem bereits der Titel in die Irre führt.

 

Der dritte Roman der Zürcher Journalistin und Autorin ist kein typischer „Liebesroman“, – vielmehr stehen brüchige Beziehungsbilder und konfliktbehaftete Rollenbilder im Zentrum. Bei Meier stellen Beruf, Familie, Freunde und Heim nicht mehr Orte der Geborgenheit und des Glücks dar, sondern werden als wackeliges Konstrukt präsentiert.

Schauplatz der Handlung ist eine Vorstadtsiedlung, die schon bald von Affären, Brutalität und Intrigen heimgesucht wird. Die Hauptfiguren Yann, Gerda und Valerie finden sich desillusioniert und überrascht in der Agglo wieder und werden von Selbstzweifeln, Versagensängsten und sexuellen Phantasien geplagt.

Das Thema der Liebe ist zentral, erweist sich aber als bröckeliges Fundament. Aus den zunächst nur eingebildeten Affären der Figuren werden bald schon Realitäten, die Distanz zum eigenen Partner wird größer. Dabei scheinen die komplexbehafteten Selbstbilder und die eigenen Unsicherheiten der Figuren durch. Häufig kann der Mangel an Kommunikation als Hauptproblem für die Dysfunktionalität von Beziehungen ausgemacht werden. Simone Meier evoziert in ihrem Roman solch eine Kommunikationsbarriere zwischen Gerda und Yann. Es gibt Themen, die sich ausschließlich in ihrem Kopf abspielen und im Stillen erörtert werden. Als Leser fragt man sich, warum sie nicht über ihre Ängste und Wünsche sprechen. Mittels dieser stillen „Lücken“ wird eine Spannung erzeugt. Man wartet darauf, dass eine der Figuren endlich mit der „Sprache rausrückt“. So werden relevante und ernste Themen ausgespart wie beispielsweise Gerdas Arbeitslosigkeit oder die gemeinsame Familienplanung.

Existenzverlust und die Kluft zwischen einfachen Arbeitern und Akademikern sind wiederkehrende Motive in Simone Meiers Roman. Einerseits wird Gerda sehr greifbar porträtiert, da ihre Schwächen, Gedanken und Ängste mit denen der meisten Menschen einhergehen. Andererseits wirft diese Figur viele Fragen auf, die sich auch im weiteren Verlauf der Romanhandlung nicht klären lassen. Beispielsweise wartet sie in ihrem neuen Dasein als Hausfrau darauf, dass ihr aufregende Dinge in den Sinn kommen, die sich mit ihren Sehnsüchten paaren lassen. Das von Simone Meier skizzierte „Biest“, Gerda, sehnt sich nach Aufregung und hofft inständig darauf „eines Tages“ ihren Sehnsüchten nachgeben zu können. „Mit der Liebe war es wie mit der Arbeit: Sie war das Glück der anderen. Nicht ihres.“ So phantasiert sie eine Affäre mit Yanns wohlhabenden und intelligenten Freund Alex herbei. Durch diesen wird Yanns Unsicherheit geschürt, da er sich „Alex gegenüber in einem mehrfachen Nachteil“ befindet.
Seine Angst ist nicht unbegründet, da Gerda über sexuelle Handlungen mit Alex phantasiert. Im Kontrast dazu wird dem Leser das sexuelle Verhältnis zwischen Gerda und Yann nur noch als Pflichtakt beschrieben. Hier spannt Simone Meier den Bogen noch weiter und kritisiert alte Rollenbilder. Einerseits sympathisiert man als Leser mit der Kritik dieser altbekannten Rollenbilder, kann gar darüber schmunzeln und die Existenzängste der weiblichen Figur nachvollziehen. Andererseits sei es dahingestellt, ob ihr Roman dadurch an inhaltlicher Qualität und Kohärenz gewinnt. So bleiben selbst die überraschenden Wendungen, mit denen der Roman gegen Ende aufwartet, vom Zweifel überschattet, ob die Autorin noch alle losen Enden überblickt.

 

Diskussion (1)

  1. Liebe Gloria

    Au weia, da hast du die Zeichenzahl mit der Wortanzahl verwechselt 🙂 So ist es aber ein gutes Lehrstück im Kürzen geworden, schau mal rein, wie der Text sich auf ein Drittel kürzen liess, ohne substanziell zu verlieren. Es war also schon alles da, musste aber noch aus dem Stein geschlagen werden. Das Ende könnte man noch pointieren. Bitte schau, welche gestrichenen Aspekte du wieder reinhaben möchtest; zwei, drei Zitate und max. 10 Zeilen verträgt die Rez durchaus noch. Viel Vergnügen und gutes Gelingen,
    herzlicher Gruss,
    Christoph

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