Niko Stoifberg: Dort

Niko Stoifberg: Dort

Dort, wo der Mensch auf den Abgrund trifft

Eine Liebesgeschichte involviert meistens einen Mann, eine Frau und vielleicht auch ein Kind. Letzteres wird in der Regel am Ende geboren und besiegelt die Romanze. In Niko Stoifbergs Debütroman „Dort“ muss das Kind gleich zu Beginn sterben. Dieser Unfall, der keiner ist, setzt eine Kettenreaktion in Gang, die nicht nur Stoifbergs Figuren an den Rand ihres Fassungsvermögens treibt.

 

Der junge, gutaussehende Erzähler Sebi steht als Landschaftsgärtner mit seinem Projekt Öko-Lifestyle-Projekt Nature direct kurz vor dem Absprung zur internationalen Cervelat-Prominenz. Das einzige, was ihm noch fehlt, ist die passende Frau an seiner Seite. Diese findet er, so ist er überzeugt, in Lydia, welche ihm zufällig über den Weg läuft. Damit Sebi ihre Aufmerksamkeit gewinnen kann, stösst er in einem unbemerkten Moment ihren kleinen Bruder in den See, um anschliessend aus einer Baywatch-mässigen Rettungsszene als Held hervorzugehen. Die Aktion misslingt jedoch und führt zum Tod des Jungen. Was Lydias Interesse anbelangt, entpuppt sich Sebis Tat dennoch als erfolgreich, denn sie signalisiert den Beginn einer Liebesromanze zwischen den beiden. Gewissensbisse und die Frage, „ob man fürs eigene Glück jemand ins Unglück stürzen darf“, lassen den Erzähler nicht mehr los und stellen die Beziehung auf eine harte Probe. Eine Reihe unglücklicher Zufälle zwingt Sebi zu einer Auseinandersetzung mit seiner Tat in Form einer Auszeit an „einem Ort, um nachzudenken“. Nature direct wird zur tour direct in eine Gefangenschaft, aus der jede Flucht unmöglich ist. „Dort“ – so der Titel des Romans – ist demnach ein Ort, der Sebis abgründige Psyche symbolisch widerspiegelt. Abgeschottet und beherrscht von anderen Rechten, Regeln und Normen ist dieser Ort ist nicht nur geographisch, sondern auch moralisch grotesk und birgt dunkle Geheimnisse. „Dort“ werden die Rollen neu vermischt und ausgeteilt, gut und böse werden ununterscheidbar, Realität und Alptraum verschmelzen.

Die Stärke des Romans liegt primär in der Spannung, welche sich konstant aufbaut. Überraschende Wendungen und schockierenden Enthüllungen ziehen die Leser in den Bann des Thrillers und konfrontieren diese mit schwierigen Fragen der Ethik. Am Schluss ergibt sich ein Puzzle, das viel grösser und verworrener ist, als man es anfangs erwartet. Der Ich-Erzähler Sebi legt sein Inneres frei, vor allem aber trägt die Ich-Erzählung viel zur Suspense bei, da die Geschichte mit Sebi zusammen erlebt wird. An ihn gebunden befindet sich die Leserschaft auf dem Rücken eines Antihelden, der aufgrund von moralisch unvertretbaren Ansichten und ambivalentem Verhalten als Figur unsympathisch und als Erzähler unzuverlässig erscheint. Gefiltert durch Sebis Wahrnehmung und gefesselt in seinem Bewusstseinsstrom werden beim Lesen auch die eigenen Gedanken verwirrt. Es ist ein Spiel mit der menschlichen Psyche, bei dem man bis zum Ende unschlüssig ist, was  tatsächlich passiert und wie es zu bewerten wäre.

Obwohl Stoifberg im Roman auf skurrile Art alles auf den Kopf stellt und gezielt Andersartigkeit suggeriert, bearbeitet sein Roman durchaus aktuelle Themen – wobei er auch diese ad absurdum führt. So greift er heutige Trends wie Minimalismus oder Virtualisierung auf, stellt diese in Frage und gibt sich gesellschaftskritisch. Letztlich ist der Roman trotz allem eine Liebesgeschichte. Diese findet paradoxerweise ihren Ursprung nicht in der Idee einer Kindesgeburt sondern im Kindesmord. Das alte Motiv des Kindesopfers, das in der modernen Gesellschaft stark tabuisiert wird, resultiert hier in der Dekonstruktion von Geschlechterrollen und der bürgerlichen Kleinfamilie. Stoifberg den Blick hinter die Oberfläche des Schönen und Guten. Nicht nur der Protagonist findet sich in einer eskapistischen Parallelwelt wieder, auch die Leser werden ins Dunkel entführt.

Diskussion (1)

  1. Liebe Laura
    Vielen Dank, ein paar kleine redaktionelle Eingriffe waren noch nötig, ansonsten schon ein gut gegliederter Text, der nicht zu viel verrät und neugierig aufs Buch macht. Bitte noch eine ansprechende Überschrift ausdenken und am Schlusssatz feilen, dann kann das auf Sendung gehen.

    Herzlicher Gruss,
    Christoph

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