Matto Kämpf: Tante Leguan

Matto Kämpf: Tante Leguan

Matto Kämpf stellt mit«Tante Leguan», den er als Punk-Roman bezeichnet, seine Fähigkeit zur Satire erneut unter Beweis. Diesmal ist der ohnehin schon krisengeplagte Kulturjournalismus an der Reihe.

Eine zynisches Punk-Trio – bestehend aus Hans mit dem ungepflegten Rasputin-Bart, der lesbischen Lena und der Ich-Erzählerin Martina – arbeitet in einer Schweizer Kulturredaktion. Sie sehen sich als Grunge-Kinder an, deren Mutter der Punk ist. Um ihre Mutter zu ehren, legt das Trio eine zwanghafte nonkonformistische Haltung, die ihnen merklich zu schaffen macht. Alle drei haben weder Familie noch Hobbies. Sie treiben keinen Sport, sind übergewichtig, trinken viel, hatten seit längerem keine erotischen Erlebnisse mehr und fühlen sich nicht nur sonntags einsam.

Als eines Tages die CD einer chinesischen Punk-Band namens Tante Leguan bei ihnen im Briefkasten landet, sieht Hans einen Ausweg aus ihrem farblosen Alltag und schlägt vor, die Gruppe in Peking zu besuchen. Gesagt, getan. Die Zeit in China nutzt das Trio jedoch nicht viel anders als in der Schweiz. Nach dem Kurzaufenthalt in China werden sie zu Hause wieder mit ihrem öden Alltag konfrontiert, doch ihre Reiselust ist geweckt. So saugen sich die drei Figuren eine Mission nach der anderen aus den Fingern und besuchen La Brévine, Baden-Baden, Lyon und andere Mittelzentren.

Matto Kämpf inszeniert den Kulturjournalismus als Sackgasse. Die Zukunft der Kulturjournalistinnen und Kulturjournalisten nennt seine Ich-Erzählerin einen stählernen Besen, der alle wegfegt. Wörter wie «klickediklick», «copy-paste» oder «schwuppdiwupp» scheinen ausreichend, um kulturjournalistische Tätigkeiten zu beschreiben. Ausserdem kommen die drei Figuren in ihrer Kulturredaktion mit lediglich täglichen 90 Minuten produktiver Arbeit zu Schlag. Den Freitag nutzen sie an ihrem Arbeitsplatz zum Kurieren ihres Katers und dem Zählen der Sekunden. In ihrer Arbeit sehen sie weder Sinn noch einen gesellschaftlichen Mehrwert, haben jedoch kein Problem damit, im zumindest ihren Augen höchst fragwürdigen System mitzuwirken und es für die eigenen Vorteile auszubeuten. Konformistische Mitarbeiter, die ihren Beruf ernst nehmen und in ihrer Arbeitszeit tatsächlich versuchen produktiv zu sein, werden verspottet. Ihren Chef hingegen verachten sie für dessen Optimismus und Begeisterungsfähigkeit.

In einer Zeit, da sich Leute immer mehr mit ihren Avataren auseinandersetzen und sich zunehmend versuchen vom Mainstream abzuheben, kann man sich die Frage stellen, ob Anti-Mainstream nicht der neue Mainstream ist. Sind Kämpfs Figuren tatsächlich noch Punk? Ist Punk tot? Schwimmt der Autor mit seinem Punk-Roman so gesehen nicht selbst mit dem Strom mit und versucht aus pseudo-gesellschaftskritischen Aussagen, die dem Zeitgeist entsprechen, Kapital zu schlagen? Wäre eine heterosexuelle Protagonistin, die sich an konservativen Werten klammert und sich Kinder wünscht in der heutigen MeToo-Debatte nicht viel anstössiger und eher eine Form von Rebellion? Und wen kritisiert Matto Kämpf mit seinem Punk-Roman hier wirklich? Ist es der Kulturjournalismus? Oder ist es die Anti-Mainstream Punk-Haltung, den seine Figuren verkörpern? So oder so: Mit sehr wenig Handlung vermag Matto Kämpf dank seines Schreibstils zu überzeugen. Mit einer unverblümten Sprache, die mit Wortspielen gespickt ist, schafft er teils unterhaltsame Dialoge, die an Pulp Fiction erinnern.

Diskussion (1)

  1. Lieber Ninib

    Besten Dank, du hast die Handlung gut konzentriert und bringst am Ende noch viele spannende Ansätze in die Rezension ein, bei denen es dir gut gelingt, von der konkreten Handlung auf ein abstrakteres Niveau zu wechseln!

    Herzlicher Gruss,
    Christoph

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*