Knisterndes, prustendes, vergangenes Wallis

Knisterndes, prustendes, vergangenes Wallis

«Flüchtiges Zuhause», Rolf Hermanns erster Erzählband, zeigt den bekannten Lyriker auf seiner persönlichen Suche nach einer vergangenen Kindheit im Wallis.

Hermann, der während seines Anglistik- und Germanistikstudiums in Bern und Fribourg auch einige Zeit in den USA verbracht hat, erinnert sich hier zurück an seine Kindheit und Jugend im Wallis. In sieben Geschichten entfaltet der stark autobiographisch geprägte Erzähler Episoden aus seinem früheren Leben zwischen Rhone und Aluminiumfabrik: Skifahren mit der ganzen Familie, Reben schneiden mit dem Grossvater, seine Zeit als Schafthirt auf der Alp. Vier Generationen seiner Familie begleiten die Erzählfigur über die Jahre, werden von ihr von verschiedenen Seiten beleuchtet und verschwinden wieder – nur das Wallis bleibt die still anwesende Konstante jeder Geschichte.

Eine profunde Sehnsucht nach der erneuten Vergegenwärtigung dieses «flüchtigen Zuhauses», zusammen mit dem Gefühl des «unwiederbringlichen Verlustes» dieser Welt, durchdringt den ganzen Band. Wie die Berge ist auch das Leben, welches zwischen ihnen gelebt wird, einer ständigen Erosion ausgesetzt. Und so begleiten die Leser den Erzähler auf seiner Suche nach Wörtern, die diesen Prozess aufzuhalten vermögen, begleiten ihn im seinem Streben nach einer Heimat, wie sie ihm in der letzten Geschichte «Im Nebel» vollständig zu entgleiten droht.

Dass Hermann bislang zumeist in der Lyrik und in der Spoken-Word-Szene aktiv war, drückt in seinem ersten Prosawerk deutlich durch. Die visuelle, vor allem aber die auditive Wahrnehmung spielt in jeder Geschichte eine grosse Rolle. In allem steckt ein Ton für Hermann: Beim Tauchen im Fluss erklingt «das Rieseln und Sirren, das Scheppern, Surren und leise Dröhnen, das die von der Fließkraft des Flusses mittransportierten Steine und Kiesel erzeugen», aber auch vom «Klang der Ferne» und dem «Knistern und Prusten» der Gletscher ist die Rede.

Das alles trägt bei zu einer kurzweiligen und anregenden Lektüre, auch wenn gelegentlich erstaunlich unbeholfene Satzkonstruktionen den Lesefluss unterbrechen. Die Gratwanderung zwischen einer genuin berührenden Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit und Vergänglichkeit und einer nostalgischen Rührseligkeit zwischen Ovomaltine schlürfenden Kindern und wohlwollend lächelnden Eltern gelingt Hermann nicht immer, aber häufig genug. Alles in allem ist «Flüchtiges Zuhause» ein ansprechendes Prosadebüt – in seinem suchenden Ton wird es seinem Inhalt gerecht. In Hermann hat das Wallis einen wichtigen literarischen Chronisten gefunden.

Diskussion (1)

  1. Lieber Lorenz

    Sehr schön, so wird’s gemacht. Eine sehr ausgewogene, kritisch würdigende Rezension, bei der auch stilistisch alles passt. Sehr gut, wie du Beschreibung und Wertung in den späteren Absätzen verknüpfst, man gewinnt ein sehr plastisches Bild vom Buch – und seinem Zielpublikum. Einzig am Titel würde ich noch ein bisschen schrauben…
    Herzlicher Gruss,
    Christoph

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