Auf den Spuren von Robert Walser

Ganz überrascht steht die Stadtführerin Martina Kuoni vor den rund dreissig Neugierigen, die ihr heute auf den Spuren von Robert Walser durch die Stadt Zürich folgen möchten. Mit so vielen Besuchern hat die Germanistin wohl nicht gerechnet, die seit der Gründung von Literaturspur solche literarischen Stadtrundgänge zu ihrem Beruf gemacht hat.

Robert Walser war selbst ein begeisterter Spaziergänger und wanderte im Jahre 1896 zu Fuss von Stuttgart nach Zürich, wo er seine Laufbahn als Schriftsteller begann. Bis 1905 lebte er in verschiedenen Wohnungen in der Innenstadt, denen der Rundgang folgt – vom Grossmünsterplatz über die Schipfe, die Froschaugasse, dem Neumarkt und der Spiegelgasse bis zur Trittligasse. Walser zog nicht nur viel um, er liess sich bei der Schreibstube für Stellenlose in der Schipfe auch immer wieder neue Stellen als Schreibkraft vermitteln – unter anderen die Stelle in Wädenswil, die ihn zu seinem Roman «Der Gehülfe» inspirierte. Die Villa zum Abendstern, in der Walser selbst als Gehülfe bei der wohlhabenden Familie Dubler gewohnt hat und innerhalb eines halben Jahres deren Konkurs miterlebte, gibt es auch heute noch zu besichtigen.

Beim Spaziergang konnten sogar eingefleischte Zürcher neue Gassen entdecken – wie zum Beispiel die Robert-Walser-Gasse bei der St. Peterskirche – und Interessantes über den zu Lebzeiten wenig erfolgreichen Schweizer Autor erfahren. Etwa, dass Walser eigentlich Schauspieler werden wollte. Bei diesem Versuch soll ihn sein Bruder Karl Walser auf einer Aquarellzeichnung als Karl Moor aus Schillers «Die Räuber» verewigt haben. Die schlechte Resonanz auf seine schauspielerischen Versuche verarbeitete Walser schliesslich in «Die Talentprobe». Anders als Robert Walser war sein Bruder Karl zu Lebzeiten ein erfolgreicher Künstler, der sich als Wandmaler und Buchillustrator einen Namen verschaffte.

Dass Walsers letzter Wohnort für beinahe dreissig Jahre eine Heil- und Pflegeanstalt in Herisau war, wird beim Spaziergang nur kurz erwähnt. Doch diese befindet sich auch in dessen Heimatkanton und nicht in Zürich. Gerade weil hier keine Tafeln auf die Spuren Robert Walsers aufmerksam machen, eröffnete der literarische Spaziergang eine neue Sicht auf die verwinkelten Gassen Zürichs.