Brückentage

Linoleum geschnitzt und SRF-Ragusa gekaut, vierhundert Mal über die Brücke und zurück ins Büro, Ladekabel verlegt und das Schnaufen der verdienten Kolleginnen und Kollegen von der Regionalpresse überhört, im „Kreuz“ noch den neunten Stuhl an den Vierertisch gerückt (und schon beim dritten Bestellbefehl nümmer zusammengezuckt), die launigen Autorinnen-Resümees beim Checkout im Festivalbüro brav für uns behalten, zweihundert Lesungen besucht und über die Hälfte tatsächlich geschrieben. Fast die Hälfte. Mit diesem Beitrag, Nr. 98, endet unsere diesjährige Berichterstattung, nächstes Jahr ist dann die 100 fällig. Mehr bleibt in diesem Jahr nicht zu wünschen übrig, auch an ihrem vierzigsten Geburtstag hielten die Solothurner Literaturtage jeden Anflug von Midlife Crisis angenehm auf Abstand. Nix zu meckern also, nur zu danken: Zuvorderst den Studierenden der Universitäten Zürich und Fribourg, für die, vor allem aber durch die die Projekte „Schweizer Buchjahr“ und „L’année du livre“ gemacht sind. Ohne euch wär’s wieder nichts gewesen, et nous tenons à remercier nos partenaires de „L’année du livre“ et nous nous réjouissons de travailler avec vous l’année prochaine. Zu danken gilt es Julien Reimer für seinen fantastischen Innendienst, den Veranstaltern der Literaturtage, die uns bestens betreut haben, namentlich Reina Gehrig und Martina Keller, zu danken gilt es auch den Autorinnen und Autoren, die auf der Bühne, beim Interview oder in ihren Büchern den Stoff liefern, aus dem unsere Beiträge sind. Und natürlich Ihnen, geschätzte Leserschaft, für Ihre Aufmerksamkeit. Wir sehen, hören, lesen uns – das Buchjahr 2018 hat gerade erst richtig begonnen. Und wem das alles zu schnell ging, darf sich entspannen: Nach- und manchmal auch vorlesen können Sie das, was bleibt, ganz in Ruhe bei uns.

Herzliche Grüsse,

Philipp Theisohn und Christoph Steier

Im Schwirrflug

Wo Jubiläum draufsteht, stehen Schlangen davor. Schon eine halbe Stunde vor dem als „Jubiläumsveranstaltung“ angekündigten Podium mit der viel beachteten Debütantin Regula Portillo und dem (nicht nur in seiner überfüllten Stammbeiz „Kreuz“) viel begutachteten Peter Bichsel stauen sich die Massen vor der Säulenhalle im Landhaussaal. Zwei Lokalmatadoren, die eine halb so alt wie der andere und nur einen Jahrgang jünger als die Literaturtage, das könnte durchaus einen gehaltvollen Plausch abgeben.

Vor die Retrospektive des Einen und die Ausblicke der Anderen hatte der gute Geist der Literaturtage jedoch auch in diesem Fall einen Moderator gestellt. Dieses selten konfliktfreie Los fiel in diesem Jahr dem Autor Rolf Niederhauser zu, der nicht allein zum dreizehn Jahre älteren Bichsel eine anekdotenreiche Beziehung durchscheinen liess, sondern 1990 selbst ein Buch zu jenem Sujet vorgelegt hatte, an dem sich Regula Portillos Debüt Schwirrflug mit grossem erzählerischen Erfolg abarbeitet: Niederhausers Requiem auf eine Revolution nähert sich den auch von Schweizer Linken in Wort und Tat unterstützen Revolutionsbemühungen im Nicaragua der 1980er Jahre auf der Grundlage von autobiographischen Erfahrungen, während Portillos Roman eine Tochter der nächsten Generation auf eine familiäre Spurensuche schickt, die letztlich zum Sfumato von Fakten und Fiktionen führen wird. Bichsel gibt sich als durchaus sachkundiger Fan des Romans zu erkennen und lobt dessen erzählerische Raffinesse, die keinen Hehl daraus mache, dass es bei aller Exotik letztlich um Schweizer Probleme gehe. Davon hätte man gern mehr erfahren, wurde jedoch stattdessen mit Niederhausers eigenen Erinnerungen an seine Elektrifzierungsversuche einer Schule in Nicaragua beglückt. Dass er angesichts des dortigen Chaos erst zum Schweizer geworden sei, glaubt man dem in den letzten Jahrzehnten beharrlich an einem mehrheitlich noch zu entdeckenden Werk arbeitenden Autor gern, nur hätte man sich vom versprochenen Jubiläum nicht unbedingt die Wiederaufführung längst erprobter Sentenzen erhofft.

Ein Meister derselben ist und bleibt selbstredend Peter Bichsel, der noch immer mühelos einen Saal mit zwei, drei (nicht zum ersten Mal) perfekt gesetzten Pointen auf seine Seite ziehen kann. Das fängt wie üblich beim Milchmann-Band an, den heute angeblich niemand mehr verlegen würde, gleitet über zur Dekonstruktion der Weltläufigkeitsschwindeleien in Schweizer Dichterbiographien der 1960er Jahre und endet bei der Konjunktivitis des Schweizerdeutschen: Beschimpfe er die Schweizer Armee auf Mundart, setze es zwei Leserbriefe, erlaube er sich das Ganze auf Hochdeutsch, folge verlässlich ein Shitstorm. Denn dann sei es ja tatsächlich so gemeint. Das ist alles nicht neu, aber charmant präsentiert. Das Publikum dankt es mit Applaus. Als dank eines Einwurfs von Regula Portillo (dem Moderator wird es hingegen nicht mehr gelingen, Bichsels Performance zu unterbrechen) noch das alte Lied von der unkontrollierbaren Beschleunigung, der stündlich zunehmenden Unübersichtlichkeit und dem darbendem Buchhandel angestimmt werden kann, hat das Publikum auf einigen Umwegen offenbar doch noch bekommen, was es erwartet hatte. Und strebt, hinausbegleitet von der die vielen Stehenden geistig und körperlich erlösenden Schlusspointe, nun selbst zum Opfer des strammen Zeitplans zu werden, zufrieden von dannen.

Überzeugen konnte man sich an diesem „Jubiläum“ also davon, dass Peter Bichsel noch immer Peter Bichsel auf die Bühne zu bringen versteht (und daneben nicht allzu viel Raum bleibt), dass in der zweiten und dritten Reihe der Schweizer Literatur der vergangenen Jahrzehnte durchaus noch Entdeckungen zu machen sind, dass Regula Portillo noch auf der einen oder anderen Shortlist auftauchen dürfte und Solothurn schliesslich auch weiterhin der Ort sein wird, an dem man, wenn auch nicht selten auf Umwegen, am Ende doch das Erwartete bekommt. Das sind nicht selten neue Konstellationen alter und neuer Bekannter. Für Portillos und Niederhausers Nicaragua-Bücher sollte dies jedenfalls nicht die letzte Begegnung gewesen sein, und so dürfte das, was auf diesem Podium Nebensache blieb, auf dem einen oder anderen Lesetisch noch zur Hauptsache werden. Womit, auf längere und damit immer schon literarische Sicht, dann doch ein durchaus fruchtbares Jubiläum gefeiert worden sein dürfte.