Über Tatendrang und Neuanfänge


Frauen. Viele Frauen und vor allem Frauen. Ich sitze in der Helferei in Zürich und bin fast ausschliesslich umgeben von Frauen. Nur vereinzelt haben auch wenige Männer heute Abend den Weg in die Kirchgasse gefunden. Die zwei jungen Männer, die mich an diesem Mittwochabend begleiten, ziehen die Männerquote bereits deutlich hoch.

Der Saal ist rappelvoll – jeder Stuhl ist besetzt mit einem*einer erwartungsvollen Zuhörer*in. Meine Begleiter*innen und ich müssen uns ganz hinten im Raum auf eine harte Holzbank dicht nebeneinander quetschen. Mit so viel Andrang und Interesse hat wohl niemand gerechnet. Weder das Publikum noch die Gesprächsleiterin, und wohl auch nicht Tina Ackermann, die Autorin des heute vorgestellten Buches. Wie wir später erfahren sollten, verschätzte sich auch die junge Syrerin, die uns einen köstlichen Apéro zauberte. So werden wir angehalten, zaghaft das Buffet zu stürmen und dem*der Nachbar*in auch etwas übrig zu lassen.

Etwas nervös betritt die Verlegerin des Rotpunkt-Verlags pünktlich um 20 Uhr die Bühne und stellt uns Tina Ackermann vor. Die 62 Jahre alte Autorin wirkt frisch und voller Tatendrang. Der Tatendrang widerspiegelt sich auch in ihrem Buch «Frauen auf der Flucht», in dem sie die Geschichten von 28 geflüchteten Frauen in Form von persönlichen Porträts schildert. Ihren Fokus hat sie dabei speziell auf die Fluchtgründe der Frauen, die oftmals genderspezifisch sind, gelegt. Menschen, die nicht nur vor Krieg oder politischer Verfolgung flüchten, sondern auch vor häuslicher Gewalt, Zwangsheiraten, missbrauchenden Ehemännern, Unterdrückung und Vergewaltigung. Auf 248 Seiten verleiht Tina Ackermann den erschütternden Schicksalen von Frauen aus aller Welt und deren Flucht aus ihrem Heimatland ein Gehör. Im späteren Verlauf des Abends, werden wir ausserdem noch zwei Protagonist*innen der Geschichten kennenlernen.

Aber zuerst gilt die ganze Aufmerksamkeit Tina Ackermann und ihrer Arbeit an ihrem Herzensprojekt. Neugierig forschend fragt die Verlegerin nach und leitet souverän das Gespräch. Die beiden Frauen gewähren uns Zuschauer*innen einen bemerkenswerten Einblick in die letzten zwei Jahre und in die Produktion des Sachbuchs von Tina Ackermann.

Im Anschluss gibt es Raum für Fragen aus dem Publikum. Nach einigem Hin und Her zwischen Ackermann und Stimmen aus der Zuschauer*innenschaft werden die Frauen auf die Bühne gebeten, die ihre Geschichten für «Frauen auf der Flucht» mit uns teilen. Zwei junge Frauen und ein kleiner Junge besetzen die noch freien Stühle. Sie erzählen von Herausforderungen und Ängsten, vom Leben in der Schweiz und vom Vermissen ihrer Heimat und ihren liebsten Menschen, die oftmals zurückbleiben mussten. Tief berührt und gespannt hänge ich an ihren Lippen.

Nach gut einer Stunde finden die Frauen einen stimmigen Abschluss und laden zum Verweilen und zu Gesprächen beim syrisch-kurdischen Apéro ein. Tosender Applaus füllt den Saal. Er gilt Tina Ackermann und der Verlegerin, aber auch all den 28 kämpferisch mutigen, bewundernswerten Frauen, die von ihrem Leben erzählen und uns zeigen, was es bedeutet, zur Flucht gezwungen zu sein. Es sind Geschichten, die bewegen – schmerzlich traurig und doch voller Hoffnung und Neuanfänge.

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