«Einfach schreiben» – ein Selbstversuch

oder: Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe.

Kreatives Schreiben ist in, also nichts wie hin! Da von der GeschichtenBäckerei des Ehepaars Kasperski schon einmal in unserem Blog berichtet wurde, komme ich ohne Umschweife gleich zur Sache: Zwei Blogger*innen sitzen (zufälligerweise) am selben Tisch mit drei anderen Schreibwilligen und versuchen sich in kreativem Schreiben nach dem Motto «Wir schreiben eine Geschichte als Geschenk». (Der andere Bericht war ebenfalls hier zu lesen.)

Eine originelle, motivierende Aufgabenstellung; da ja kann nichts schiefgehen. Ich schreibe schliesslich die ganze Zeit, also kann ich schreiben, wenn es sein muss auch kreativ. Nun, ganz so einfach ist es nicht. Vor einem leeren Blatt zu sitzen mit nichts als guten Vorsätzen, ohne etwas, wovon man berichten oder was man besprechen soll. Schrecklich! Oder doch nicht? Schliesslich ist da der Profi-Schreiber mit seinen guten Tipps und Strategien, um deretwillen wir doch gekommen sind. Und wir werden tatsächlich nicht enttäuscht. 

Nach grundlegenden, aber noch nicht so weltbewegenden Überlegungen zu Aspekten wie Adressat, Genre, Erzählperspektive und, schon interessanter, «Betriebstemperatur» des Textes dann die erste Knacknuss, bei der Kasperski seine ganze Erfahrung ausspielen kann: die Wahl des Themas. Hier helfen ein kleines Spiel mit Buchstaben und Assoziationen sowie die wahrlich glorreiche Idee, auch das total Unerwartete oder Schräge in Erwägung zu ziehen. Und es funktioniert. Damit ist es natürlich nicht getan, und bei aller Ermutigung macht Kasperski klar, dass eine fertige Geschichte in 90 Minuten ein (zu) ambitioniertes Vorhaben ist. Aber immerhin, ist der sprichwörtlich schwierige Anfang gesetzt, beginnen die Idee zu sprudeln. Ich habe es versucht, die Geschichte geht weiter, und glauben Sie mir: Schreiben: einfach.

Geschenkidee mal anders

Was schweisst Menschen eigentlich mehr zusammen als gemeinsame Erlebnisse und Geschichten? Bei dieser Grundfrage setzte Kulturjournalist, Unternehmensberater und Storyteller Franz Kasperski mit seiner GeschichtenBäckerei an. Im Kurs «Wir schreiben eine Geschichte als Geschenk» arbeitete man auf ein Produkt hin, das jemand anderem eine Freude bereitet, und konnte dabei auch gleich die eigene kreative Ader ausleben.

Ziel des Workshops war es, ein passendes Thema herauszukristallisieren, aus dem sich ein persönliches Geschenk entwickeln kann. Dafür zeigte uns der Geschichtenbäcker verschiedene Strategien. Besonders inspiriert hat mich seine Vorgehensweise, denn zuerst suchten wir einen Erzählansatz, um ihn nachher wieder zu verwerfen. Der Kursleiter forderte uns nämlich heraus, uns zu fragen: «Was gäbe es denn noch, was überhaupt nichts mit dem zu tun hat?». Aus dem offensichtlichen Denkraster auszubrechen und «out of the box» zu denken kann viele neue Ideen freisetzen.   

Wie Geschichten Gemeinschaft stiften, konnte man auch im Kurs beobachten. Die Teilnehmer*innen gaben sich bald gegenseitig Tipps und entwickelten originelle Szenarien im Team. Dazu kam individuelle Unterstützung vom Profi. Alle Zutaten sind somit nach dem Kurs vorhanden: das gute Vorhaben, die Instruktion und das Thema. Nun liegt es an uns, diesen Teig zu kneten und aufgehen zu lassen – denn Schreiben ist schliesslich ein Prozess. Währenddessen freue ich mich aber schon auf den Geruch, welcher der Kuchen später aus dem Backofen verströmen wird.

Klein aber fein

Unter diesem Titel kann man die Lesung von Christian Dieterle über Uli der Knecht zusammenfassen. Die Veranstaltung fand in den Räumlichkeiten des Ateliers «Kunst und Philosophie» in Albisrieden statt. Corona machte sich auch hier bemerkbar, indem nur eine handvoll Leute den Weg in das Quartier gefunden hatten und etliche reservierte Stühle leer blieben.

Eröffnet wurde der Abend passenderweise mit «Vreneli ab em Guggisberg», gesungen von der Schwester des Vorlesenden. Die ausgebildete Sängerin wurde dabei vom Inhaber des Ateliers, Martin Kunz, auf dem Klavier begleitet. Danach legte Christian Dieterle, der Schauspieler und Sprachkünstler, los. Auf dem Leseständer lag der Klassiker von Jeremias Gotthelf, Uli der Knecht. Didaktisch geschickt wurde der Anfang des Entwicklungsromans, der die Geschichte des «zu seinem besseren Selbst und seiner guten Frau Vreneli» findenden Ulis erzählt, in einem Zug vorgetragen. Erst nach der kurzen Pause übersprang Dieterle einige Kapitel, um die Hochzeit des glücklichen Paares Uli und Vreneli noch einfangen zu können.

Bei der Lesung kam ihm zugute, dass er nicht nur immer wieder Rollen in verschiedenen Filmproduktionen inne hatte, sondern auch viel auf deutschen Bühnen gestanden ist. Klar und deutlich trug er vor und untermalte dabei seine Deklamation durch Gestik, Mimik und Modulation. Gerade bei beim Vorlesen der Geschichte fällt dem Schreiberling auf, wie stark dialektal doch die Sprache von Gotthelf war. Dieterle meisterte sie aber gekonnt und stolpert nicht einmal über die vielen berndeutschen und oft altertümlich anmutenden Ausdrücke.

Beim abschliessenden Apéro kamen die Vorteile eines kleinen Publikums zum Tragen. In beinahe familiärer Atmosphäre wurden verschiedene Themen angeschnitten: Ausgehend von Gotthelfs Berndeutsch waren die verschiedenen Dialekte der Schweiz und die kantonale Befangenheit ihrer Bewohner*innen eines davon. So erzählte etwa Martin Kunz die Anekdote, wie er in den 70er-Jahren an einer Tankstelle im Bündnerland kein Benzin für seinen VW-Käfer bekam, weil dieser ein Zürcher Kennzeichen hatte.

Christian Dieterle zeigte währenddessen, dass er nicht nur das Berndeutsch von Gotthelf gut nachahmen kann, sondern auch verschiedene deutsche Dialekte. Weiter erstaunen durfte das nicht, wohnt der Schauspieler aus dem Zürcher Oberland doch schon seit über 40 Jahren in Deutschland und zwar mit Stationen im Ruhrgebiet, in Bremen, in Hamburg und seit gut 10 Jahren in Berlin-Kreuzberg.

Zeigen statt schreiben

Tierisch – vegetarisch, unglaublich – religiös, tragbar – erdrückend.
Das ist ein Auszug aus der Übung, mit welcher der Workshop «Kreatives Schreiben» in der GeschichtenBäckerei startete. Geleitet wurde die Schreibwerkstatt von Gabriela Kasperski. Die ehemalige Schauspielerin, Anglistin und Autorin gab gezielte Inputs, anschauliche Beispiele und brachte damit unser kreatives Denken in die Gänge.

Konflikte standen im Zentrum des Interesses an diesem Abend. Wir entwickelten ein Gefühl dafür, Disharmonien zu erzeugen, indem wir Wörter nebeneinanderstellten. Nach einigen Übungen verfassten wir unsere eigene Szene. Die Vorgaben waren simpel: ein Konflikt, drei Figuren und das Motto «Show, don’t tell» – zeigen statt schreiben. Wenn man vor dem leeren Blatt sass, entpuppte sich das aber als gar nicht so einfach. Und erst recht nicht auf Knopfdruck. Zu persönlich. Nicht relevant genug. Zu abgelutscht. Die berühmt-berüchtigte Blockade in Anbetracht der leeren Seite hat es in sich. Beim dritten Anlauf fügte sich dann aber auch aus meinem Gekripsel eine Szene, die sich in eine Kurzgeschichte entfalten liesse. Allerdings vergass ich in der Hitze des Gefechts den dritten Charakter in meinem Text.

Gabriela Kasperski verriet zwischendurch immer wieder, wie die Figurenkonstellationen interessanter gestaltet werden könnten oder wie sie vorgeht, wenn sie selbst nicht mehr weiter weiss. Hilfreich war auch, dass man am Ende Feedback von den anderen Teilnehmer*innen und der Kursorganisatorin erhielt. So hatte man die Möglichkeit auszutesten, wie die eigene Erzählung ankommt.

Ein Land von Haarflüchtlingen

Jetzt wissen wir, was Isländer auszeichnet (wenigstens die Männer…): Als Nachkommen der Flüchtlinge vor dem Wikingerkönig Harald Schönhaar seien sie allesamt Haarflüchtlinge, meint der glatzköpfige Isländer Hallgrìmur Helgason. Damit ist auch gesagt, dass der «perfekte Isländer» (O-Ton Hallgrìmur Helgason) Joachim B. Schmid mit seinem Haarrest vielleicht halt doch nur ein halber Isländer ist. Das Publikum war aber nicht ins Zentrum Karl der Grosse gekommen, um etwas über die Haartracht der Isländer zu erfahren. Einen Einblick in den besonderen isländischen Humor hat man mit dieser launigen Episode aber schon mal gekriegt. Selbstverständlich ging es um Bücher, um die neuesten Publikationen der beiden Autoren: 60 Kilo Sonnenschein von Hallgrìmur Helgason und Kalmann von Joachim B. Schmid, vorgestellt und moderiert von der Islandistin Ursula Giger.

Hallgrìmur Helgason liest kurzerhand aus der isländischen Originalausgabe seines ausladenden Romans. Die Gefühle angesichts eines Textes in einer unverständlichen Fremdsprache sollte sich als nützlich erweisen, wenn es später darum geht, die Reaktionen von Jaochim B. Schmids als Neu-Isländer zu verstehen. Da das Buch eine Art «All-in-One-Geschichtsbuch» Islands ist, erzählt aus der Perspektive eines Fjordbewohners vor dem Heringsboom, war isländische Geschichte omnipräsent. Die Schneedecke als unbeschriebenes Blatt am Anfang des Buches, auf welches Geschichte geschrieben wird, ist ein wunderbares, genuin isländisches Bild, das viel über das Nationalbewusstsein aussagt. Die Isländer*innen, da waren sich alle einig, verstünden sich heute noch manchmal als Kurzzeit-Gäste in ihrem eigenen Land, als Bewohner*innen eines gigantischen Zeltplatzes. 

Bei Joachim Schmids Buch drängt sich für die Lesenden die Frage auf, ob Kalmann wirklich ein Krimi sei oder nicht, oder vielleicht sogar ein missratener Krimi? Wie erwartet, meint Schmid: eher ein Portrait als ein Krimi. Die lesende Person niste sich im Kopf von Kalmann ein. Man solle ihn zuerst ruhig unterschätzen, um dann zu merken, was wirklich in ihm stecke, auch wenn ihm oft die Worte fehlten und die Sprache bewusst unbeholfen sei.

Als Schmid gefragt wird, was er dazu sage, von einem Isländer als echter Landsmann bezeichnet zu werden, blitzt wieder (schweizerisch-)isländischer Humor hervor: Seine schönste Zeit sei diejenige am Anfang gewesen, als er noch kein Isländisch verstanden habe. Daraus sei dann nach und nach eine gewisse Hassliebe geworden – ganz isländisch, meint doch ein geflügeltes Wort, die Isländer seien nirgends so glücklich wie am Flughafen Keflavik: Verlassen sie doch gerade das Land, das sie hassen, oder aber kehren zurück in das Land, das sie lieben.

Brüchige Welt

Mit eineinhalb Meter Abstand positionieren sich am Donnerstagabend im «Karl der Grosse» der Schriftsteller Jens Steiner, die Schriftstellerin Seraina Kobler und die Moderatorin Traudl Bünger auf dem Podest. Ihnen gegenüber setzen sich so langsam Zuhörerinnen und Zuhörer – bestens ausgestattet mit Masken. Im Zentrum der Lesung stehen Jens Steiners Episodenroman Ameisen unterm Brennglas und Seraina Koblers Debütroman Regenschatten.

Nach einer kurzen Vorstellung liest Seraina Kobler einige Passagen aus ihrem Werk. Sie entwirft dabei das Szenario von einer aus den Fugen geratenen Welt, das für zeitgenössische Leser den dystopischen Charakter teilweise verloren hat: Zürich ist geprägt von einer Megadürre und mitten drin sind zwei Verliebte, die ein Kind erwarten und sich die Frage stellen, ob sie das Kind behalten oder abtreiben sollen. Eine Parallele zur momentanen Ausnahmesituation mit Covid-19 wird relativ schnell gezogen. Sie habe sich zu Beginn der Pandemie gefragt, ob sie nicht doch lieber eine Utopie inszeniert hätte, da gewisse Handlungen im Roman gar nicht mehr so realitätsfremd scheinen, so Kobler.

Auch Jens Steiners Roman inszeniert eine brüchige Welt, entwirft ein Gesellschaftsportrait und zeichnet dabei die Verhaltensmuster der Figuren in seiner Erzählung akribisch genau nach. Den Tieren schreibt Jens Steiner – gefragt nach einem für ihn faszinierenden Element in seinem Erzählen – die Funktion der Aussenstehenden, Beobachtenden zu, die das komische Verhalten der Menschen spiegeln.

Als ich das Gebäude verlassen habe, ziehe ich die Maske aus und denke nochmals über das Gesagte nach: Mir imponiert, wie genau Seraina Kobler und auch Jens Steiner gesellschaftliche Tendenzen und Probleme – gerade auch der Corona-Zeit – in ihren Romanen beschreiben.

Eine Geschichte zwischen Narration und bildender Kunst

Etwas verwirrt stehe ich im Eingangsbereich des Collab, einem hippen Modeladen beim Kulturpark Zürich. «Entschuldigung, wo befindet sich denn die Ausstellung Ada + Eva?», frage ich eine Verkäuferin. Hinter ansprechend präsentierten Kleidungsstücken, Schmuck und Handyhüllen stossen ich und meine Begleitung auf einzeln präsentierte Bilder aus der textlosen Publikation der Berner Künstlerin Laura D`Arcangelo. Mitten im farbig ausgestalteten Laden fügen sie sich als erwerbbare Plakate perfekt ein – vielleicht ein bisschen zu gut?

Die liebevoll gestalteten Bilder erzählen die Geschichte zweier Frauen, die sich im Paradies kennenlernen und verlieben – kommen aber zwischen den Kleidern und diversen anderen ausgelegten Kurzgeschichten auf dem Büchertisch kaum zur Geltung. Auch die übergrossen Adaptionen aus Pappe, die in den Schaufenstern von der Strasse aus gut sichtbar sind, werden nur von aufmerksamen Passant*innen mit dem kleinen Büchlein in Verbindung gebracht. Und was haben die farbigen Zältli in dieser Szenerie zu suchen?

Auffällig ist auch, dass die kleineren Bilder nicht chronologisch aufgehängt sind und die Narration somit fast gänzlich verloren geht. Wäre nicht genau das der Kern ihres Schaffens? Eine Erzählung ganz ohne Text, welche nur aus der Abfolge ihrer Bilder lesbar wird? Die Ausstellung lädt jedoch mehr dazu ein, die einzelnen Bilder als alleinstehende Kunstwerke oder als Einrichtungsgegenstände zu betrachten. Ein durchaus legitimer Ansatz, auch wenn es die kurze Handlung durchaus wert wäre, in Form einer Ausstellung erzählt zu werden. Schliesslich handelt es sich um eine originelle Überschreibung der Anfangsgeschichte der Menschheit, kein Mann ist der erste Mensch, aus dessen Rippe die Frau geschaffen wird. Es sind zwei Frauen, die sich im exotisch anmutenden Wald erblicken, verlieben und ein gemeinsames Leben beginnen.

Was wäre, wenn der Beginn der Menschheit weiblich wäre? Eine Frau, die eine andere Frau liebt, ist in diesem Szenario das Natürlichste auf der Welt, sie gehört zur Menschheitsgeschichte dazu. Auch gibt es hier keinen Sündenfall, nur tragische Wendungen wie der Tod, welcher die Natur bereithält.

Wer diese leise Geschichte über ein homosexuelles Empowerment in Ruhe anschauen möchte, kann das Büchlein auch vor Ort durchblättern oder kaufen. Und einzelne Auszüge auf den Plakaten oder im Schaufenster auf sich wirken lassen. Aussergewöhnlich ist die Ausstellungsweise im Ladenfenster auf jeden Fall.  

Seines Glückes Designer*in werden

Das «Playbook» eines American-Football-Teams schreibt allen Spieler*innen ihre Bewegungen auf dem Feld genau vor, damit sich die Mannschaft an die optimale Taktik hält. Das «Design Your Future Playbook» – kurz «DYF Playbook» – hat daher seinen Namen und soll Taktiken vermitteln, wie man Lebensprobleme aus dem passenden Winkel tacklen kann. Darüber verliert es aber keine langatmigen Paragraphen, sondern bietet Illustrationen, kurze Texte und vor allem viele Übungen, die zur Reflexion anregen.

Eine Mischung aus Übungsheft, Ratgeberliteratur und Optimierungsgedanke? Ich setze mich in die gut gefüllten Stuhlreihen der Buchhandlung Nievergelt, um das herauszufinden. Hinter dem «DYF Playbook» stehen Jean-Paul Thommen, Coach für persönliche Entwicklung und Dozent für Betriebsökonomie, sowie Michael Lewrick, der verschiedene Firmen in Innovationsfragen berät und Schulungen zu «Design Thinking» anbietet. Das «Design» im Buchtitel leitet sich von diesem Konzept her und, so erklärt Michael Lewrick, steht für eine Denkhaltung, eine Herangehensweise an schwierige Situationen: Sich intensiv mit einer Frage auseinandersetzen. Das zugrunde liegende Problem identifizieren. Es mit der passenden Strategie lösen.

Wie das «DYF Playbook» seine Spieler*innen an diese Denkhaltung heranführt, darf das Publikum gleich selber ausprobieren. Wir bekommen eine Kostprobe und üben uns in Selbstreflexion und kreativer Problemlösung. Ich bin skeptisch. Kann, soll man sein Leben behandeln wie ein Designprodukt? Macht es immer glücklich, gezielt zu wachsen? Darf das Leben nicht auch einfach wuchern? Nutzenmaximierte Lebensläufe zu produzieren sei nicht das Ziel des Buches, sagt Jean-Paul Thommen. Es soll vielmehr jede*n Einzelne*n dazu anregen, die eigene Handlungsfähigkeit zu entdecken, sich intensiv mit sich auseinander zu setzen und positive Veränderungen anzustossen.

Das Umfeld mit in diesen Prozess einzubeziehen, sei besonders wichtig, betonen die Autoren weiter: Veränderung kann im Vakuum nicht gut gedeihen. Gerade darum sei das «DYF Playbook« auch als Teamsport angelegt. Am besten also gleich auch ein Buch für eine*n Mitspieler*in kaufen. Diese Taktik geht auf und die Autoren können zum Schluss viele «Playbook»-Exemplare signieren. Das «DYF Playbook» scheint eine Fangemeinde in Zürich gefunden zu haben.

Immer eine Suche

Der zweite Roman als das Schwierigste, was Autor*innen anpacken können – dieses verbreitete Bild beschwört die Moderatorin Arlette Graf gleich zu Beginn der Lesung im «Karl der Grosse» herauf. Mit ihr auf dem Podest sitzen Meral Kureyshi und Frédéric Zwicker, deren Zweitlinge diesen Herbst erschienen sind.

Das Lamento über die Schwierigkeiten des zweiten Romans bleibt aber gänzlich aus. Beide finden, dass es wahrscheinlich genau dieses Bild vom schwierigen zweiten Roman sei, das dazu führe, dass er für viele Autor*innen dann tatsächlich schwierig sei. Sie erzählen von langen Recherchen und frühen Schreibphasen, in denen sie, auch noch mit dem ersten Projekt beschäftigt, schon den zweiten Roman angefangen haben. Dem angsterfüllten Moment, das zweite Buch nach dem ersten anzufangen, gaben sie so gar nie Raum.

Die Furchtlosigkeit vor dem zweiten Roman – ein gutes Omen? Beim Erklingen der Texte «Fünf Jahreszeiten» und «Radost»  wird jedenfalls klar, dass es sich um ausgereifte Werke handelt und sich tatsächlich keine Spuren von Mühsamkeit zeigen. Die Geschichten – soweit sie in der Lesung zum Vorschein kommen – wirken rund.

Vielleicht, weil in beiden Romanen jeweils zwei Teile zueinander gefunden haben: In «Fünf Jahreszeiten» ist da einerseits die Aussensicht auf das Aufsichtspersonal von Museen und andererseits das innere Gefühl der Pause, das beim Erleben einer solchen Arbeit entstehen kann, sowie weitere, subjektive Lebenseindrücke einer jungen Frau. «Radost» setzt sich zusammen aus der Geschichte eines psychisch Kranken, der sich im Laufe der Geschichte mit dem Erzähler anfreundet, und den Reisen des Erzählers, mit und ohne Rad, unter anderem nach Zagreb und Sansibar. Einmal liest Frédéric Zwicker vor, einmal Meral Kureyshi. Dabei bleibt es leider. Die beiden Texte hätten noch eine grössere Bühne verdient, mehr Zeit, gelesen zu werden.

Dafür kommen die Autor*innen einfach und schnell ins Gespräch. Auf die Fragen der Moderatorin scheint aber vor allem Meral Kureyshi nicht ganz entspannt zu antworten. Was da stört, ist unklar, aber da ist von Anfang an etwas, das einrastet und zwischen den beiden nicht in Bewegung kommt.

Wann ein Buch fertig sei, möchte Arlette Graf wissen. Die «Kinderfrage», wie sie sie nennt, birgt durchaus Tiefen. Frédéric Zwicker sagt, was gesagt werden muss und meint pragmatisch: wenn das Buch gedruckt ist. Meral Kureyshi aber bricht eine Lanze für die unendliche Geschichte – es gäbe nie ein Ende, das, was da nun gedruckt sei, sei lediglich eine Möglichkeit, ein Versuch, aber das könnte genauso gut auch noch weiter gehen.

Die Autor*innen unterhalten sich lange über die Suche der Romanfiguren. Was ihre Figur sucht, will Kureyshi nicht verraten. Und Zwickers Figur wisse gar nicht, dass sie sucht, sie finde aber dafür ganz viel, zum Beispiel eine spezielle Freundschaft.

Auch die Lesung ist eine Suche, auf der nicht immer das Gesuchte gefunden wird. Aber gefunden wird auch hier einiges, und das ist ja eben auch was.

Entgrenzende Wortkunst mit Eva Maria Leuenberger

Das kann auch nur in dieser besonderen Zeit passieren: Ich gehe mit meiner Maske vorm Gesicht und einem Aperitif in der Hand zur Lesung im Erkerzimmer im Zentrum Karl, nehme Platz – als meine Sitznachbarin aufsteht und sich als Autorin des Lyrikbandes dekarnation entpuppt, aus dem heute Abend gelesen wird. Ohne ihre rote Mähne vom Buchcover und mit Maske hatte ich Eva Maria Leuenberger gar nicht erkannt.

Auch die ersten Worte des Abends gelten diesen besonderen Umständen, indem sich die Organisatorin des St. Galler Literaturfestivals «Wortlaut» herzlichst bei «Zürich liest» bedankt. Eva Maria Leuenbergers Lesung ist eine von zwei Veranstaltungen, die nach der abgesagten Frühlingssaison im Rahmen des Zürcher Literaturfestivals doch noch ihren Weg auf die Bühne finden.

Der Abend beginnt so zugänglich und entspannt, wie er begonnen hat. Ohne Mikrofon liest die junge Lyrikerin in intimem Rahmen abwechselnd zwei Teile aus ihrem Erstlingswerk vor und äussert sich im Gespräch mit Gallus Frei-Tomic zu ihrer Wortkunst. Ihre klare, ruhige Stimme entblösst eine stimmungsvolle Szenerie im Wald, zuerst im Tal, dann in der Schlucht, die so verletzlich wie erbarmungslos daherkommt. Trotz der zahlreichen Naturmotive grenzt sich Eva Maria von der klassischen Landschaftslyrik und der ihr inhärenten Distanz ab. Im Gegenteil: es geht ihr gerade um den direkten Kontakt von Körper und Umgebung.

Schicht um Schicht trägt ihre Lyrik vom Vorhandenen ab, gräbt immer tiefer, nach einem Sinn, einem Kern. Diese Suche trägt die Künstlerin immer weiter, sodass ihre Gedichte gleichzeitig auch als ein Gesamtkunstwerk zu lesen sind, welches im Grunde die Grenze der Lyrik zum Romanhaften sprengt. Immer wiederkehrende Motive verdichten sich und entgrenzen gleichzeitig ihren Sinn in unterschiedliche Richtungen. Das Ich im ersten Teil wird im dritten zu einem Du, welches sich in seiner Umgebung gespiegelt wiederfindet.

Ihr Gesprächspartner zeigt uns Zuhörenden, wie diese Ausdehnung der lyrischen Instanz auch graphisch abgebildet ist, indem sich die anfänglichen Blocksätze je länger je mehr in Wortfetzen über die Seite bewegen. Die Stille, die Störungen zwischen den Wörtern sind der Lyrikerin genauso wichtig wie das Wort selbst, meint sie. Gleichzeitig ist es ein multivokales Werk, in dem sich die englischsprachigen Stimmen unterschiedlichster Dichterinnen wie Beth Bachmann und Christina Davis mit ihrer Lyrik verbinden, sich gegenseitig umtänzeln, ergänzen und hinterfragen.

Als ich den Karl der Grosse verlasse, lächle ich mit Blick auf die Hausfassade, an der der Name gerade so passend mit «Karla die Grosse» überschrieben wurde. Heute war ein Abend der weiblichen Ausdruckskraft.